Nach der Regulierung ist vor der Regulierung: Im Zuge von MiCA möchte die Europäische Finanzmarktaufsicht EMSA nun ein wichtiges Element des Stakings von Ethereum und anderen Kryptowährungen sanktionieren.
Die EU wird einmal mehr ihrem Anspruch gerecht, der internationale Champion der Regulierung zu sein.
In einer neuen Eingabe listet die ESMA ihre Anforderungen an die Spezifizierung der technischen Standards nach MiCA, was für uns bedeutet, dass wir in Abkürzungen und Regulierungsslang ertrinken werden — aber die Affäre ist zu wichtig, um ihr dem aus dem Weg zu gehen: Es geht mehr oder weniger darum, ob, wie und unter welchen Umständen das Staking von Kryptowährungen, etwa Ethereum, in Europa erlaubt sein wird.
MiCA, STOR, PPAET, ESMA, ETC
Ausgangspunkt ist, dass – nun bitte nicht erschrecken – MiCA die ESMA auffordert, eine Serie von RTS zu entwickeln. Beginnen wir an der Stelle, das Knäuel zu entwirren:
Die MiCA ist die „Regulation on Markets in Crypto-Assets“, mehr oder weniger das Herz der europäischen Krypto-Regulierung. Die ESMA hingegen ist die „European Securities and Markets Authority„, also quasi die europäische Finanzaufsicht. RTS schließlich meint „Regulatory Technical Standards“, also technische Standards der Regulierung.
Es geht aber weiter: Ein Artikel der MiCA-Verordnung erwartet von PPAETs, effektive Methoden und Prozeduren einzuführen, um Marktmissbrauch zu erkennen und zu verhindern. PPAETs sind „Persons Professionally Arranging or Executing Transactions“ mit Krypto-Assets, also „Personen, die professionell Krypto-Transaktionen bilden oder ausführen“, was eine interessante, aber auch heikle neue Bezeichnung ist, die einen womöglich schon dann in Haftung nimmt, wenn man Transaktionen nur „arrangiert“.
Diese PPAETs müssen eine STOR ausfüllen und bei einer zuständigen Behörde einreichen. STOR meint einen „Suspicious Transaction and Order Report“ – einen Bericht über verdächtige Transaktionen oder Handelsangebote.
Ja, es ist kompliziert, es starrt vor Abkürzungen. Aber eigentlich ist es, hat man den technokratischen Slang auflöst, ziemlich einfach: Krypto-Unternehmen müssen Transaktionen melden, wenn sie den Verdacht haben, dass diese den Markt manipulieren.
Soweit, so nachvollziehbar. Doch der Teufel steckt im Detail. Man könnte auch sagen: Das faule Ei liegt in den RTS, wie die ESMA sie formuliert.
Wie Staker mit MEV einen Bonus einfahren
Die ESMA hat, wie von MiCA angeordnet, also ein Dokument veröffentlicht, in dem sie regulatorische technische Standards vorschlägt. Darin nennt sie verschiedene Szenarien und Umstände der Marktmanipulation mit Krypto-Assets, darunter auch – und damit sind wir beim Problem angelangt – das „wohlbekannte Maximum Extractable Value (MEV). Bei diesem zieht ein Miner oder Validator einen Vorteil aus seiner Fähigkeit, willkürlich Transaktionen neu zu ordnen, und profitiert durch das Front-Running spezifischer Transaktionen.“
MEV ist eine wohlbekannte Plage in Ethereum und allen EVM-basierten Blockchains. Es meint den maximalen Wert, den man aus der Blockproduktion herausziehen kann, und zwar über den reinen Reward und die Gebühren durch Transaktionen hinaus. Validatoren bzw. Blockproduzenten haben den Vorteil, dass sie ein kleines Zeitfenster haben, in dem sie Transaktionen zu ihrem Gunsten umsortieren können, was bei einer Blockchain, auf der nicht nur überwiesen, sondern auch gehandelt, geliehen, versteigert und liquidiert wird, ein Vorteil ist, den geschickte Staker in bare Münzen übersetzen.
Die Ethereum-Foundation nennt verschiedene Spielarten des MEV: Man kann durch Arbitrage verdienen, indem man die Preisdifferenzen verschiedener dezentraler Börsen ausnutzt. Man kann sich bei Auktionen vordrängeln, mit denen Lending-Protokolle Kollaterale liquidieren. Und man kann mit dem „Sandwiching“ vor einen großen Kauf auf dezentralen Börsen rasch die entsprechenden Assets kaufen und dann mit Gewinn (durch die Slippage) an den Käufer weiterverkaufen.
Es ist nicht nötig, hier ins Detail zu gehen. Wichtig ist: Die Staker sortieren Transaktionen in Blöcken um und fügen eigene ein, um einen kleinen Bonus zum Blockreward zu erhalten. Das ist, wie die ESMA durchaus richtig feststellt, eine Art des Marktmissbrauchs, die bei DeFi-fähigen Blockchains nahezu unvermeidbar ist.
Aber wie groß ist der Schaden durch MEV?
Es gibt mehrere Übersichtsseiten zu MEV und einige Dashboards auf Dune Analytics. Sie stimmen im Detail nicht exakt überein, ergeben aber im Großen und Ganzen ein konsistentes Bild der Größenordnung des MEV.
Insgesamt haben die Miner auf Ethereum durch MEV rund 700 Millionen Dollar eingenommen, wobei Arbitrage und Sandwich Trading klar überwiegen. An den meisten Tagen in den letzten zwei bis drei Monaten machten die MEV-Einnahmen eine niedrigen fünf- bis eine mittlere sechsstellige Summe aus, selten lagen sie unter 30.000 und selten über 300.000 Dollar. Es gab im Lauf des letzten Jahres vereinzelt Tage, an denen das MEV auf einen geringen Millionenbetrag hochschnellte, was in Zeiten fiebriger, unruhiger Aktivität, etwa während des DeFi-Sommers 2021, an der Tagesordnung war.
Dabei aber nehmen die Staker am Tag auch ohne MEV rund 13.000 ETH ein, was knapp 40 Millionen Dollar entspricht, davon allein 500 ETH durch die Transaktionsgebühren und sogar 20 ETH durch die Uncle Rewards, ein esoterisches Konzept von Ethereum. Im Vergleich zu den anderen Einnahmen ist MEV unter normalen Umständen also weitgehend irrelevant.
Das Problem mit der ESMA
Trotz des moderaten Umfangs können Staking-Pools nicht auf MEV verzichten. Nicht nur, weil sie dadurch minimal lukrativer werden, sondern auch, weil die Staker ungern die Chance fahren lassen, wie in einer Lotterie bei einer Spitze hohe MEV-Gewinne mitzunehmen. Ein Staking-Pool, der kein MEV anbietet, ist vermutlich nicht konkurrenzfähig.
Wenn die ESMA nun MEV einen Marktmissbrauch nennt, hat sie nicht unrecht. Was soll es sonst sein, wenn ein Staker die eigenen Transaktionen vorschiebt und die Ordnung willkürlich ändert, um Gewinne einzufahren?
Das Problem ist aber, dass der Effekt in der Sache überschaubar, der Schaden, der potenziell aus der ESMA-Vorgabe erwächst, dagegen gigantisch ist.
Zum einen wird damit eine gängige Praxis im Web3 in die Nähe zur Kriminalisierung gebracht. Ist es noch legal, seine Ether in einen Staking-Pool zu geben, der MEV verwendet – also in irgendeinen Staking-Pool? Und was, wenn man diese ETH, die man durch das Staking verdient, an eine Börse in der Eurozone sendet? Tragen sie nicht wie selbstverständlich die Spuren von MEV? Und können Börsen in der EU noch, wie es üblich ist, Staking als Service anbieten? Darf man „Liquid Staking Token“ handeln, wenn der sie herausgebende Pool MEV einfährt?
Patrick Hansen, als Lobbyist von Circle (USDC), einer der kompetentesten Krypto- und Web3-Stimmen in Brüssel, erklärt: „So gut wie jedes regulierte Krypto-Unternehmen in der EU (Börsen, Broker etc.) muss Vorfälle von MEV aufspüren und durch komplexe STORs berichten. Die Vorlage der ESMA für STOR allein ist sechs Seiten lang.“
Dann fragt Patrick Hansen weiter: „Wie sollte es in der Praxis machbar sein, wenn buchstäblich jeder einzelne Vorfall von MEV berichtet werden muss? Darüber hinaus schlägt die ESMA vor, dass Behörden sogar mit solchen außerhalb der EU kooperieren sollen, um Marktmissbrauch zu sanktionieren. Damit können Akteure, die in MEV involviert sind, das Ziel von Untersuchungen und Klagen werden.“ Es wird also immer bunter.
Ein weiterer Leberhaken gegen die Branche
Für Unternehmen innerhalb der EU entstünde aus den ESMA-Wünschen ein weiterer Akt in jenem regulatorischen Albtraum, der für sie Tag und Nacht Realität ist. Es wäre ein weiterer Leberhaken gegen eine Branche, die hier ohnehin schon aus den letzten Löchern pfeift.
Schon heute wird der Markt innerhalb der EU von Anbietern von außerhalb dominiert, wie Binance, Coinbase und so weiter. Die EU hat schlicht nicht mehr den Zugriff, um den globalen Markt zu regulieren. Mit dem Vorgehen gegen MEV würde nicht nur ein weiterer Wettbewerbsnachteil entstehen, vielmehr würde auch eine ganze Branche – die Staking Pools aller MEV-fähigen Blockchains – mehr oder weniger aus der EU verschwinden.
Freilich handelt es sich bisher nur um einen Entwurf, erklärt Patrick Hansen, der in den nächsten Monaten finalisiert wird. Die ESMA ruft Stakeholder auf, ein Feedback bis zum 25. Juni einzureichen. Unter Umständen gibt es also noch eine Chance, dass das Vorhaben gekippt wird.