Die brasilianische Zentralbank präsentiert eine Testversion ihres geplanten digitalen Reals. Diese enthält zum Unmut der Community zwar Funktionen, die es ihr erlauben, Token zu konfiszieren. Doch insgesamt wirkt das Projekt ungewöhnlich fortschrittlich und offen.
Brasiliens Zentralbank Banco Central do Brasil hat vor kurzem ein Test-Kit für die von ihr geplante digitale Währung auf Github veröffentlicht und Entwickler ermutigt, Fehler darin zu suchen.
Ein Blockchain-Entwickler, Pedro Magalhães, hat daraufhin den ERC20-Smart Contract, der den digitalen Real erschaffen soll, in Solidity rekonstruiert. Dabei fand er heraus, dass er Funktionen enthält, die es der Zentralbank erlauben, Accounts einzufrieren, die Guthaben von Accounts zu ändern, sowie Token ohne Zugriff auf den privaten Schlüssel zu versenden oder zu vernichten.
Zunächst war unklar, ob diese Funktionen nur Teil des Test-Kits sind. Mittlerweile hat die Zentralbank aber bestätigt, dass sie diese Funktionen auch in der finalen Version beibehalten wird. Es sei gesetzlich bestimmt, dass Gerichte die Möglichkeit haben, Assets im nationalen Finanzsystem Brasiliens zu beschlagnahmen. Daher muss die Zentralbank eine solche Funktion in eine digitale Währung integrieren.
Für die Krypto-Szene macht dieses Setup den geplanten digitalen Real natürlich deutlich weniger attraktiv. Doch fairerweise sollte man einräumen, dass auch private Stablecoins wie Tether oder USDC ähnliche Funktionen enthalten.
Im Vergleich mit den Plänen anderer Zentralbanken wirkt das brasilianische Projekt ungewöhnlich fortschrittlich, pragmatisch – und realistisch. Während andere Zentralbanken wie die Chinesische Volksbank oder die EZB davon träumen, mit einer eigenen digitalen Währung auf Basis einer eigens entwickelten Plattform Kryptowährungen zu verdrängen, setzt sie vielmehr auf ein Nebeneinander von beidem. Während diese “Krypto” für eine Art Urbrei halten, aus dem schließelich die digitalen Währungen der Zentralbanken erwachsen werden, die CBDC, versteht die Banco Central do Brasil ihre eigene Währung eher als Teil von Krypto.
Die Zentralbank baut auf Hyperledger Besu, einem der jüngsten Produkte der Hyperledger-Familie. Besu ist das Produkt einer ähnlichen Erkenntnis wie bei der Zentralbank von Brasilien. Anstatt wie bisher, etwa mit Fabric, zu versuchen, die Blockchain neu zu erfinden, beschränkt sich Hyperledger mit Besu darauf, bestehende Technologien anzupassen. Besu ist ein spezieller Ethereum Client, der “sowohl öffentliche als auch private Netzwerke abdeckt” und die Ethereum Virtual Machine (EVM) implementiert.
Auf Github präsentiert die Zentralbank eine Übersicht über die Topologie der geplanten Plattform. Sie basiert auf dem Konsens-Algorithmus QBFT, eine Variante von Proof of Authority, die Hyperledger für private Netzwerke empfiehlt. Bei Proof of Authority hängt der Konsens in gewisser Weise an der Reputation ausgewählter Nodes. Er wurde eigentlich von den Ethereum-Entwicklern für ein Testnet erfunden, treibt aber mittlerweile einige Blockchains, etwa die Binance Chain BNB, an. Beim digitalen Real soll laut den bisher vorliegenden Informationen lediglich die Zentralbank Nodes und Validatoren betreiben, aber es spricht nichts dagegen, später auch Banken und andere Finanzinstitutionen zu integrieren.
Mit Hyperledger Besu setzt die Zentralbank dabei auf eine Plattform, die vollständig kompatibel mit Ethereum ist. Smart Contracts, die auf Ethereum laufen, laufen auch auf Besu, seien es die für ERC20-Token, NFTs oder DeFis. Damit kann die Zentralbank viele tausend Arbeitsstunden, die Entwickler in die öffentliche Infrastruktur investiert haben, abgreifen, anstatt, wie China oder wohl auch die EZB, alles selbst zu entwickeln.
Der Präsident der Brasilianischen Zentralbank, Roberto Campois Neto, hat auch eine klare Vorstellung, was der Zweck der Plattform sein soll. Auf einem Seminar Anfang Juni erklärte er, dass “digitale Zahlungen nur ein kleiner Teil sind”. Für die meisten Arten von Zahlungen, auch grenzübergreifende, gebe es bereits zufriedenstellende Lösungen.
Vielmehr gehe es darum, ein effizienteres und inklusiveres Finanzsystem zu bilden, welches über Smart Contracts mit anderen Finanzsystemen in Brasilien und der ganzen Welt kommunizieren kann. Dank tokenisierten Assets und Smart Contracts sollen etwa Käufe von Immobilien, im In- und Ausland, sowie von Autos erheblich beschleunigt werden.
Campos Neto möchte daher, dass die Plattform der Zentralbank kompatibel mit den Dezentralen Finanzen (DeFi) auf Blockchains wie Ethereum, Solana oder Polkadot ist. Seine Vision ist es, dass Brasilianer die digitale Währung der Zentralbank nutzen, um mit DeFi-Apps dezentrale Assets zu kaufen. Der digitale Real soll der Startpunkt sein, über den Brasilianer in den DeFi-Markt eintreten.
Natürlich bleibt eine Zentralbank eine Zentralbank. Sie kann gar nicht die Kontrolle in einem Maß abgeben, das typisch für Kryptowährungen ist. Indem Brasiliens Zentralbank aber auf maximale Kompatibilität mit gängigen offenen Blockchains setzt, kommt sie dem Ideal von Krypto so weit entgegen, wie dies einer Institution wie ihr nur möglich ist.
Vor allem aber erkennt die Zentralbank, dass eine CBDC nicht einfach nur eine digitale Variante von Real, Dollar oder Euro sein sollte, sondern eine Plattform für Token oder Smart Contracts – und dass eine solche Plattform am stärksten wird, je besser sie bestehende Netzwerkeffekte mitnehmen kann. Damit ist sie ihren Kollegen in Frankfurt um einige Jahre voraus.