Mithilfe von Blockchain und KI möchte der Automobilzulieferer und Werkzeugbauer Bosch ein Netzwerk intelligenter, autonomer Maschinen schaffen. Die mit Fetch.ai gegründete Foundation ist nicht der erste und wohl auch nicht der letzte Schritt dorthin.
Also … Es wird jetzt um Bosch gehen, den Stuttgarter Automobilzulieferer und Hersteller von Staubsaugern und Akkuschraubern, und es wird um Fetch.ai gehen, eine Kryptowährung, die mit KI zu tun hat und in den vergangenen Monaten rasant gestiegen ist. Der Wert der FET-Token hat sich seit Ende 2022 etwa versechsfacht.
Sieht gut aus: Kursverlauf von FET nach coinmarketcap.com
Bosch und Fetch.ai haben nun die Fetch.ai Foundation gegründet, eine Stiftung für die Ökonomie der Dinge (EoT). Diese soll, so die Pressemitteilung von Bosch, helfen, “Web3-Technologien zu erforschen, zu entwickeln und zu kommerzialisieren.” Laut Presseberichten loben die beiden Partner dafür 100 Millionen Dollar aus.
Bosch ist also mitten drin im Kryptomarkt – und zielsicher in einem der heißesten Trends dieses Jahres, nämlich Blockchains und KIs. Ist das nur Marketing? Oder sind Bosch und Fetch.ai an einer großen Sache dran? Was plant der Konzern genau – und wie weit sind die Pläne schon gediehen?
Fluffig und Schwammig
Wir leben, informiert also die Pressemitteilung von Bosch, “in zunehmend vernetzten Systemen”. Die “Value Chain”, jene Kette der Werte, verlagert sich ins Internet. Wie wäre es, wenn Maschinen in diesen digitalen Netzwerken zu eigenständigen ökonomischen Akteuren werden?
“Damit wäre alles, was Teil des Internets der Dinge ist, in der Lage, ökonomisch zu interagieren. Ein Beispiel könnte sein, dass ein Elektroauto herausfindet, wie viel der Strom an einer nahen Ladesäule kostet und einen Preis aushandelt. Oder eine Waschmaschine in einem Smart Home, die automatisch Waschmittel nachbestellt oder den Servicetechniker ruft.”
Das ist natürlich eine reizende Vorstellung, über die man endlos nachdenken kann. Geräte sind intellligent und betreiben Handel. Mein E-Auto fragt den Stromversorger, welche Preise für wann erwartet werden, lädt sich dann günstig auf, wenn der Wind pfeift, und verkauft den Strom, wenn er teurer ist. Mein Kühlschrank sorgt dafür, dass immer Milch da ist, und meine Türklingel bezahlt die Rechnung einer Sendung per Nachnahme. Richtig interessant wird diese Vorstellung, wenn man sie kommerziell denkt: Selbstfahrende Autos werden zu selbst-wirtschaftenden Taxis, Werkzeuge vermieten sich selbst, und über die Liefer- und Produktionsketten hinweg tauschen Firmen Daten und Operationen aus, ohne dass es jemand merkt.
Bei all diesen gewiss zukunftsweisenden Vorstellungen werden aber auch Erinnerungen warm. Hatte Bosch so was nicht schon mal vor? Tatsächlich ging der Konzern bereits vor einigen Jahren bereits eine Partnerschaft mit IOTA ein, und die Ziele, die damals formuliert wurden, hören sich verdächtig ähnlich an: Nachdem Bosch sich 2018 in IOTA eingekauft hatte, hatte der Konzern die Hoffnung, durch den neuen Partner “den automatisierten Handel von vernetzten Geräten im Internet der Dinge (Internet of Things, IoT)” in Schwung zu bringen. Denn der Tangle ermögliche es, dass “Maschinen untereinander mit Daten und Geld direkt handeln. So könnten beispielsweise autonome, batterieelektrische Fahrzeuge bei einem Ladevorgang direkt über eine sichere, drahtlose IoT-Verbindung mit der Ladesäule die Batterieladung via IOTA abrechnen.”
Danach geschah — nicht so viel. Immerhin berichtet Bosch Connectivity laut CryptoMonday erst Ende Januar 2023, dass nun der gemeinsam mit IOTA gebildete Data Marketplace anlaufe und irgendwie mit dem Cross Domain Development Kit (XDK) von Bosch zusammenarbeite. Aber in der Öffentlichkeit passiert da nicht wirklich etwas.
Daher zurück zum Thema – zu Bosch und Fetch.ai und der neuen Foundation. Es gibt eine Webseite der Stiftung, fetchai.foundation. Sie bleibt aber ähnlich vage wie viele Erklärungen von Politikern: Die Foundation bewerbe ein “offenes und transparentes Ökosystem auf der Basis von Datensouveränität” und fördere “Innovationen und Kooperationen zwischen Industrieakteuren”. Jaja. Ziel sei, “die Entwicklung von KI- und Web3-Technologien voranzutreiben”. Und so weiter. Man findet viele Worte und wenig Informationen.
Nicht weniger schwammig bleibt leider auch die Pressemitteilung von Bosch. Der Stuttgarter Konzern, fährt sie fort, “schaffe, unter anderem, die Foundation for the Economy of Things (EoT) mit Fetch.ai”. Die Verbindung von Künstlicher Intelligenz, Machine Learning und autonomen Web3-Agenten – “mit anderen Worten, intelligente, semi-autonome Software” – mache es möglich, “dass technische Objekte zu ökonomischen Subjekten werden.”
Wir können nur leicht resigniert feststellen: Die Stiftung soll die Verbindung von Web3, KI und autonomen Agenten fördern. Irgendwie.
Neues Leben für eine alte Vision
So abgefahren und futuristisch sich die Idee anhören mag, dass Maschinen über Blockchains zu autonomen Agenten werden – sie ist alles andere als neu. Sie war noch nichtmal neu, als Bosch zum ersten Mal mit IOTA zusammenarbeitete.
Schon 2015 hat ein Innovationslab von Bosch mit der Idee experimentiert, dass Geräte wie Sensore ihre Dienste gegen Bitcoins handeln. Der Lableiter Markus Weinberger erzählte uns Anfang 2016 von seinen Ideen, Geräte zu selbständigen ökonomischem Subjekten zu machen. Damals experimentierte Bosch mit dem 21-Computer, der die Idee verkörperte, dass in Zukunft jedes Gerät Bitcoins schürft, bis hin zum Toaster.
Die Vision von Bosch, was man mit einer Blockchain machen kann, bleibt also recht konstant. Zwar gelang es dem Konzern bis heute nicht, sie in wirtschaftlich relevantem Umfang umzusetzen. Doch man wird nicht zum Weltkonzern, wenn man keinen langen Atem hat. Daher versucht Bosch es, in technisch anderer Gestalt, weiter.
Mit Fetch.ai arbeitet Bosch schon seit 2019 zusammen. Im Mai berichtete das Magazin Gründerszene davon, dass Fetch.ai seine Idee für ein “Economy of Things”-Ökosystem auf der Hausmesse von Bosch, der “Bosch Connected World”, vorstellte. Bosch nahm schon damals am Fetch.ai-Testnetz teil und half damit, die Fetch.ai-Blockchain zu starten – ein mutiges und wegweisendes Engagement. Die wenigsten Konzerne dieser Größe haben den Schneid, mit einem Coin zu kooperieren, der seiner Marktreife nach wie ein Shitcoin aussieht. Spruchreif wurde die Partnerschaft dann 2021, als Bosch Research und Fetch.ai ein R&D-Abkommen eingingen. Im Mai 2021 ging Fetch.ai schließlich, mit Hilfe von Bosch, live.
Erstaunlicherweise ging es Bosch damals gar nicht in erster Linie um die Economy of Things. Vielmehr interessierte den Konzern eine andere Errungenschaft: die “Technologie zum kollektiven Lernen von Fetch.ai”. Ein solches kollektives Lernen von Maschinen gilt als “Schlüssel für sicher und vertrauenswürdig vernetzte Geräte.” Durch die Kombination von AI und Blockchain, so ein Bosch-Mitarbeiter im Mai 2021, erwarte man, “potenzielle Ausfälle einer Maschine besser vorherzusagen, während man den Datenschutz wahrt.” Die sichere und vertrauenswürdige Berechnung über verschiedene Teilnehmer sei “der Schlüssel, um den vollen Wert verteilter Daten zu erschließen.” Die Blockchain soll also ein Netzwerk von autonom operierenden Maschinen intelligenter machen.
Im selben Monat stiegen Bosch, Fetch.ai und BigchainDB – ja, die gibt es immer noch! – bei Catena-X ein, einem “agilen Ökosystem von Stakeholdern der Automobilbranche”. Catena-X arbeitet Konzepte aus für ein “offenes, skalierbares Netzwerk für den sicheren, firmenübergreifenden und standardisierten Austausch von Informationen und Daten.” Im September 2022 wurden Bosch und Fetch.ai schließlich Mitglieder von Gaia-X, einem öffentlich geförderten europäischem Projekt, das einen “Standard für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und ihrem Umfeld” erarbeitet.
Autonome Agenten. Darum geht es.
Während es um die Kooperation mit IOTA eher ruhig wurde, scheint Fetch.ai ein fester Partner von Bosch zu sein, um die Blockchain für den Bestimmungszweck zu nutzen, den man schon 2015 ausgemacht hat. Aber wer und was ist nun Fetch.ai?
Wir haben vor kurzem Fetch.ai in einem Artikel über “Krypto und KI” in Kurzform vorgestellt. Fetch.ai wird von einem KI-Entwicklerteam aus Cambridge geführt. Auf der Webseite stellt Fetch.ai ein Ökosystem aus autonomen Agenten in Aussicht. Um diese autonome Agenten dreht sich alles. Sie sind, ist man sich bei Fetch.ai sicher, “die nächste Generation von Computer-Paradigmen.” In der Informatik meint der Begriff “Software-Entitäten, die einige Sets an Operationen für den User ausführen, oder andere Programmemit einem bestimmten Grad der Autonomie.” Agenten sind quasi die persönlichen Diener des Users.
Die Agenten bei Fetch.ai haben einen hohen Grad an Autonomie. Sie sollen auch in der Lage sein, für ihre User ökonomische Werte zu generieren, indem sie miteinander über die Blockchain interagieren. Sie können sich automatisiert miteinander verbinden und verhandeln; nur die Ergebnisse dieser Interaktion, die Vereinbarungen, landen auf der Blockchain. Dadurch erlaubt Fetch.ai es, Anreize zu generieren, an den Modellen der anderen mitzuarbeiten, anstatt wie bisher in Silos vor sich hin zu lernen. Fetch.ai macht aus den Dienern, die bisher nur rechnen können, Geschäftsleute. Wer hätte nicht gerne seinen Agenten, der für einen handelt und Einnahmen erwirtschaftet?
Die Blockchain-Struktur erlaubt es also, autonome Agenten und Machine Learning mit neuen Einnahmequellen zu verbinden. Anstatt dass eine monolithische KI wie GPT-3 auf den Servern von OpenAI, Microsoft oder Google exklusiv für sich selbst lernt, kann ein Netzwerk von autonomen Agenten, die auch eine gewisse künstliche Intelligenz aufweisen, kollektiv lernen. Damit sinken die Anforderungen an den Betrieb einer KI, weshalb, so das Versprechen, “jedermann KI-Services bilden und aktivieren” und von der autonomen Arbeit dieser Agenten profitieren kann.
Das hört sich alles recht abstrakt an. Im Grundsatz ist das Ziel ehrenwert – die Befreiung von Künstlicher Intelligenz aus den Klauen der großen IT-Konzerne, vielleicht sogar ihre Demokratisierung. Ob es in der Praxis klappt, ist freilich eine ganz andere Frage. Immerhin kommt das Projekt in der Industrie an. Neben Bosch nimmt etwa auch der Maschinenbauer Festo aus dem benachbarten Esslingen an Fetch.ai teil, um im Rahmen eines agentenbasierten Fertigungsmodells rascher reagieren zu können. Mit Axim, DabbaFlow und Colearn schließlich sind bereits drei Plattformen live – oder zumindest in der closed beta – die auf Fetch.ai aufbauen. Bei ihnen geht es zum größten Teil darum, Machine Learning und andere KI-Disziplinen dezentral aufzubauen.
Auch wenn Fetch.ai erst am Anfang steht und noch weit davon entfernt ist, auch nur irgendetwas in trockenen Tüchern zu haben, kann man zumindest schon mal eines sagen: Das Startup versucht wirklich, etwas aufzubauen. Und mit Bosch und Festo hat es dabei die Rückendeckung zweier Schwergewichte des deutschen Maschinenbaus.