Der Bull Case für Bitcoin: Was kann, was wird die nächste Bitcoin-Rally auslösen? Worauf warten, worauf freuen wir uns? Im zweiten Teil geht‘s ums Mining als Selbstzweck.
Der Markt wirkt derzeit etwas müde. Die Preise sind nicht blendend, aber schon ok. Doch eine neue „Killer App“ ist nicht zu sehen; nichts, was den Durchbruch zur Masse verspricht, was neue User scharenweise lockt. Oder?
Wenn wir hier nach dem „Bull Case“ fragen, geht es nicht um den Preis. Sondern darum, was vor einer Rally kommt. Was kann sie auslösen? Was belebt das Ökosystem? Welche App, welches Szenario bringt frischen Wind in den Markt? Was ist der Zweck, mit dem Bitcoin gewinnt?
Diesen Fragen gehen wir in einer Serie auf den Grund. Es geht um Bitcoin, und es geht um Krypto, aber wir trennen beides.
Das Mittel als Zweck
Im ersten Teil haben wir uns Bitcoin als Zahlungsmittel gewidmet. Heute geht es um einen Bull Case, der eher kontraintuitiv, sogar widersprüchlich wirkt: Bitcoin-Mining als Selbstzweck.
Kann das Mining den nächsten Bullenmarkt auslösen? Kann die Produktion selbst die stärkste Eigenschaft des Produktes sein? Das klingt widersprüchlich, da Produktion nur dass Mittel zum Zweck ist und niemals der Zweck selbst. Doch es gibt Gründe, zu vermuten, dass es bei Bitcoin anders läuft.
Ein strategischer Stromverbraucher
Bitcoin-Mining hat Eigenschaften, die über die reine Bitcoin-Produktion hinausgehen. Wir haben hier oft darüber geschrieben, meist mit einem skeptischen, aber offenem Blick.
Bitcoin-Miner dienen als strategischer, hochmobiler und fast unbegrenzt skalierbarer Abnehmer von Strom. Wo immer man überschüssigen Strom hat, ist Mining eine Option.
Etwa in Äthiopien, wo die Grand-Renaissance-Talsperre einen gewaltigen Überfluss an Strom abwirft. Oder in Paraguay, wo Miner gerne überschüssigen Strom des Itapu-Staudamms abnehmen.
In Kenia und El Salvador versucht man, das Mining zu nutzen, um die Erschließung geothermischer Energien zu finanzieren. In Japan setzt Tepco, der größte Stromversorger des Landes, Miner ein, um die Überschüsse zu verwerten, die eine Energiewende hin zu erneuerbaren Quellen mit sich bringt.
Man könnte noch viel mehr solcher Beispiele aufzählen. Der wesentliche Punkt ist, dass Mining eine Rolle spielen kann, die Stromversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen, oder in der Natur vorhandene nachhaltige Energiequellen erst zu erschließen. Mining kann ein Teil der Strominfraktur werden und ist auf dem Weg dorthin.
Wärme als Produkt
Eine Art Bonusfaktor dabei ist die Wärme. Miner produzieren Wärme. Im Grunde wandeln sie Strom mit derselben Effizienz in Wärme um wie ein Heizlüfter. Wo soll die Energie sonst auch hin?
Die Erkenntnis, dass Wärme nicht nur Abfall, sondern ein Produkt ist, kam längst in der Branche an. In Skandinavien scheint es zum Standard zu werden, mit Wärme aus dem Mining zu heizen. In Österreich hat das Startup 21Energy aus Österreich kürzlich ein schönes Investment für sein Konzept bekommen, mit Minern zu heizen.
Interessant scheint dies bislang, zumindest außerhalb Skandinaviens, weniger für Privathaushalte zu sein als für Unternehmen. Etwa Industrien, in deren Fertigungsketten Wärme eine Rolle spielt, oder Hotels, die Swimming-Pools heizen müssen.
Mining wird also nicht nur ein Teil der Energie-, sondern auch der Wärmewende. Es hilft, das Heizen auf Strom umzustellen, bei dem, anders als bei Gas, Öl oder Holz, zumindest die Chance besteht, dass er CO2-neutral ist.
Interessant für Staaten
Abseits von der Hilfe, Energiesysteme zu erschließen, scheint Mining für immer mehr Staaten interessant zu sein. Neben El Salvador, das aus Begeisterung für Bitcoin heraus mined (oder dies plant), glänzt hier vor allem Bhutan.
Bhutan, ein kleines Königreich im Himalaya, betreibt bereits mehrere Bitcoin-Minen. In diesen verwertet es einen Überschuss an Strom, den es aus seinen Wasserkraftwerken gewinnt. Damit fährt es deutlich besser, als den Strom nach Indien abzugeben.
Ähnliche Pläne erreichten auch in Paraguay den Senat. Anstatt den Strom zu Spottpreisen nach Brasilien abzugeben, hieß es, sollte Paraguay doch die Energie aus dem großen Staudamm fürs Mining nutzen.
Sowohl Bhutan als auch Paraguay erhalten durchs Mining die Chance, sich von der Abhängigkeit von größeren Nachbarn zu befreien. Sie können überschüssigen Strom zu Geld machen, ohne dafür eine Industrie aufbauen zu müssen.
Selbst wenn man sie nicht mag …
Aber fairerweise sollte man auch weniger sympathische Beispiele nennen. Es sind nicht nur „die Guten“, die Bitcoins minen, und sie verwenden nicht nur „gute Energien“.
So ist in Venezuela die Regierung ebenfalls ins Mining eingestiegen, vermutlich mit willkürlich konfiszierten Geräten. Allerdings ist nicht bekannt, ob dieses Programm noch läuf.
Auch im Iran ist die Regierung zumindest offen dafür, die Energiereserven durchs Mining zu kommerzialisieren. Dabei versucht sie aber eher, die privatwirtschaftlichen Miner zu regulieren und zu kontrollieren.
Sowohl Venezuela als auch der Iran arbeiten dabei vermutlich nicht mit sauberen, sondern ziemlich schmutzigen Energiequellen, vermutlich Gas und (direkt oder indirekt) Öl. Sie nutzen die Einnahmen auch nicht, um sich von der Abhängigkeit von einem stärkeren Nachbarn zu befreien, sondern um Finanzsanktionen zu umgehen.
Ein ähnlicher Fall ist Russland. Das Land hat einen großen Überschuss nuklearen und fossilen Stroms, und leidet unter Finanzsanktionen, die dessen Tausch gegen Devisen erschweren. Bisher scheint die Regierung zwar noch nicht selbst zu minen. Aber sie ist offen dafür, Miner zu dulden und von ihnen zu profitieren.
In den Golfstaaten schließlich stößt man auch auf eine Bereitschaft, sich aufs Mining einzulassen. So arbeitet etwa der Staatsfonds von Abu Dhabi mit Mining-Unternehmen zusammen, unter anderem, um große Mining-Farmen aufzubauen. Ob diese aber helfen, die reichlich verfügbaren Energien durch Wind und Sonne zu ernten, wie gesagt wird, oder die riesigen Ölvorräte zu Geld zu machen, ist von außen schwer zu sagen.
Was gegen den Bull Case spricht …
Es gibt also Anwendungsfälle, in denen Mining zum Selbstzweck wird, und dies macht sogar Nationalstaaten zu Bitcoin-Usern. Aber reicht das für einen Bull Case?
Die Antwort ist zunächst ernüchternd. Mining ist ja eben deswegen praktisch, weil es den Stromverbrauch entlohnt. Mining verspricht, elektrisches Heizen günstiger zu machen und erneuerbare Energiequellen lukrativer. Möglich ist das nur, weil es ein Produkt abwirft – Bitcoin – und weil man dieses Produkt gegen Fiatgeld verkaufen kann.
Mining, nicht Bitcoin ist der Zweck. Bitcoin ist nur ein Mittel, um Strom in Dollar oder andere Fiatwährungen zu verwandeln. Solange dem so ist, ist das Potential des Bull Cases überschaubar: In keinem Fall wird eine industrielle Anwendung des Minings eine Nachfrage nach Bitcoin schaffen, eher im Gegenteil, da es oft das Ziel der Operation ist, Bitcoins zu verkaufen, um Fiat-Rechnungen zu bezahlen.
Können sich Bitcoiner also auf die Schulter klopfen, weil Mining immer öfter einen Selbstzweck erfüllt – ohne sich Hoffnungen zu machen, dass daraus ein Bull Case erwächst?
Ganz so einfach ist es nicht.
Miner hodlen
Wenn aus dem Mining ein Bull Case erwächst, dann eher indirekt als direkt. Nicht durch das Mining selbst, sondern durch das, was es bewirkt. Was also danach kommt und was daraus entsteht.
Zum einen sind Miner oft Holder. Man sieht das bei privaten Unternehmen, etwa als Betreiber der Farmen in Äthiopien und Paraguay, aber auch bei Ländern wie El Salvador und, vor allem, Bhutan, selbst. Ein großer Teil der Bitcoins, die die Miner ernten, bleibt in deren Wallets.
Wenn immer mehr Akteure minen, wird ein immer größerer Teil der neu entstandenen Bitcoins dem Markt entzogen. Darüber hinaus werden viele, die heute schon durchs Mining „investieren“, von diesem Markt verdrängt werden, wenn immer größere, am Ende nationalstaatliche Akteure einsteigen. Ihnen bleibt dann keine andere Wahl, als unmittelbar zu investieren – und damit eine Nachfrage zu schaffen.
Mining macht Bitcoin legitimer
Wichtiger könnte aber ein noch indirekterer Effekt sein: Wenn sich Mining und Stromnetzwerk verbinden und immer mehr Nationalstaaten selbst minen, wird dies Bitcoin legitimer machen.
Ein Verbot, oder auch nur eine destruktive Regulierung, wird immer unwahrscheinlicher. Wenn Mining Teil der Strominfrastruktur ist, wird dies das Netzwerk stärker und stabiler machen. Zugleich werden sich mit dem Mining immer mehr Staaten und Volkswirtschaften auch auf Bitcoin selbst einlassen. Warum auch nicht, wenn man die Coins eh schon erzeugt?
Ein Beispiel findet man in den Goldstaaten. Während in Abu Dhabi Bitcoins gemined werden, legt die Nationalbank von Bahrain ein auf Bitcoin basiertes Finanzprodukt auf. Liegt es wirklich so fern, dass beides verschmilzt, Länder also die erzeugten Bitcoins zunehmend nutzen, um Finanzprodukte zu decken?
Attraktiv ist es auch für viele Länder, Bitcoins zu minen und diese als Devise zu verwenden, um Sanktionen zu umgehen. In Staaten wie dem Iran, Venezuela und Russland bahnt sich so etwas bereits an, auch wenn der Durchbruch (zum Glück!) noch aussteht. Ob man es mag oder nicht – es wäre ein Bull Case, dass die „Schurkenstaaten“ selbst erzeugte Bitcoins als Devise nutzen.
Aber auch die USA könnten, wenn Donald Trump Präsident wird und seine Versprechen nicht vergisst, eine nationale Reserve in Bitcoin aufbauen und die Mining-Industrie stärken. Auch hier liegt es nahe, beides zu verbinden.
Indirekt besteht also durchaus Potenzial, dass das Mining einen Bull Case bildet. Damit dies geschieht, muss sich aber Mining noch weiter etablieren und ins Stromnetz eingraben, was ein ziemlich weiter, mühsamer Weg sein dürfte. Darüber hinaus muss sich Mining mit dem Finanzsystem, vielleicht auch den staatlichen Reserven, verbinden. Auch das ist ein weiter Weg.
Mining kann also einen Bull Case bilden – aber eher übermorgen als morgen. Wenn es schnell geht.