Der Bull Case für Bitcoin: Was kann, was wird die nächste Bitcoin-Rally auslösen? Worauf warten, worauf freuen wir uns? Im ersten Teil geht‘s um Bitcoin als Zahlungsmittel.
Der Markt wirkt derzeit etwas müde. Die Preise sind nicht blendend, aber ok. Doch eine neue „Killer App“ ist nicht zu sehen, nichts, was den Durchbruch zur Masse verspricht, was neue User in Scharen anzieht. Oder?
Wenn wir hier nach dem „Bull Case“ fragen, geht es nicht um den Preis. Sondern darum, was vor einer Rally kommt. Was kann sie auslösen? Welche App, welches Szenario bringt frischen Wind in den Markt? Was belebt das Ökosystem? Was ist der Zweck, mit dem Bitcoin gewinnt?
Diesen Fragen gehen wir in einer Serie auf den Grund. Es geht um Bitcoin, und es geht um Krypto, aber wir trennen beides. In diesem Artikel geht es um Bitcoin.
Der offensichtliche Bull Case der keiner ist
Heute widmen wir uns dem, was für Bitcoin ein offensichtlicher Bull Case ist – und offensichtlich keiner: der Verbreitung als Zahlungsmittel.
Bitcoin wurde als „P2P-Cash“ gegründet: als dezentrales, elektronisches Bargeld. Wenn Leute im Internet mit Bitcoin bezahlen, anstatt mit Euro, behalten sie die Kontrolle über ihr Geld. Sie sind autonom. Jede Zahlung mit Bitcoin schaltet Mittelsmänner wie Banken aus. Immer wenn mit Bitcoin bezahlt wird, gewinnt die Freiheit.
Dass Bitcoin als Zahlungsmittel verwendet wird, ist der naheliegendste, offensichtlichste, schönste, idealistischste Bull Case. Allerdings ist er das ebenso offensichtlich nicht.
Es stagniert seit langem
Die Community wartet nunmehr seit bald einem Jahrzehnt darauf, dass der Durchbruch gelingt. Bisher wartet sie vergeblich, und es gibt keine Anzeichen, dass sich dies ändern wird.
Als Zahlungsmittel stagniert Bitcoin. Seit 2014 hat sich kaum etwas bewegt. Damals wie heute akzeptiert eine Handvoll Online-Shops Bitcoin, manche kamen hinzu, manche ließen es wieder, die meisten klagen, dass es kaum jemand jemals benutzt. Selbst im PubKey, der berühmten New Yorker Bitcoin-Bar, bezahlen nur fünf Prozent der Gäste mit Bitcoin.
Zahlungsdienstleistungen wirken wie eine natürliche Gelegenheit für Bitcoin-Unternehmer. Allerdings sind sie viel mühsamer und weniger lukrativ als alles um Handel und Token.
Nehmen wir BitPay, den ältesten und größten Zahlungsdienstleister für Bitcoin. Im letzten Monat hat BitPay keine 42.000 „Krypto-Transaktionen“ prozessiert, davon nur 25 Prozent in Bitcoin. Das sind rund 10.000 Bitcoin-Zahlungen im Monat, 333 am Tag; alle vier Minuten bezahlt jemand auf der Welt über BitPay mit Bitcoin.
Nicht viel besser sieht es bei BitRefill aus. Die Plattform für Gutscheinkarten veröffentlicht zwar keine absoluten Zahlen, doch in Relation zu anderen Kryptowährungen verliert Bitcoin immer weiter an Bedeutung. Anstatt die Checkouts, Terminals und Kassen der Welt im Sturm zu nehmen, wird Bitcoin selbst im Kryptomarkt, der noch eine Nische ist, von anderen Währungen verdrängt.
Was ist da los? Weshalb stockt die Verbreitung als Zahlungsmittel? Warum kann man noch immer nicht im Supermarkt mit Bitcoin bezahlen? Und gibt es etwas, dass das ändern kann?
Eine problematische Lösung für ein Nicht-Problem
Ein einfacher, unverfänglicher Gedanke ist der, dass Bitcoin niemals eine Chance hatte. Es kam so, wie es vorherbestimmt war.
Es herrscht ja kein Mangel an Zahlungsmitteln: PayPal, Bargeld, Mastercard, Banküberweisung, EC – das alles funktioniert gut und bequem. Im Alltag der allermeisten Menschen gibt es kein schmerzhaftes Problem, das Bitcoin als Zahlungsmittel löst.
Stattdessen führt Bitcoin ein neues Problem ein: die Volatilität. Wenn man einen Onlineshop betreibt, möchte man nicht, dass das Geld, das man gestern akzeptierte, heute weniger wert ist. Daher bezahlt man sich selbst im Ökosystem oft nicht mehr mit Bitcoins, sondern mit Stablecoins.
Wer an Bitcoin glaubt, nimmt die Volatilität gerne in Kauf. Denn langfristig weist sie nach oben. Doch genau das macht es für Verbraucher unattraktiv, Bitcoin anstelle des flatterhaften Euro auszugeben. Daher beklagen sich Onlineshops, die Bitcoin annehmen, seit je über zu wenig Kunden, die es nutzen.
In diesem Sinne müssten wir den Bull Case schlicht woanders suchen.
Die regulatorische Drangsal
Ein zweiter Grund liegt in den Umständen, die sich geändert haben. Bitcoin ist mittlerweile hochreguliert und steuerlich erfasst. Das macht vieles unbequem.
Das beginnt damit, dass man sich bei einer Börse anmelden muss, um Bitcoins zu kaufen oder zu verkaufen. Dazu muss man seine Identität verifizieren lassen, den Ausweis hochladen, sich per Video-ID prüfen lassen. Manchmal wird auch ein Steuerbescheid verlangt oder der Nachweis eines Einkommens. Privatere Alternative, wie LocalBitcoins oder diskretere Börsen, sind längst in den Untergrund abgewandert.
Dann gilt das Bezahlen mit Bitcoin vor dem Fiskus als Verkauf. Man muss dokumentieren, zu welchem Wert man die Bitcoins gekauft hat, die in der Wallet liegen, und welchen Gewinn oder Verlust man realisiert, wenn man eine Pizza bestellt.
Und schließlich wird Bitcoin engmaschig überwacht. Börsen prüfen, ob eingezahlte Coins „schmutzig“ sind. Wer Bitcoin unbedacht im Handel annimmt, riskiert, sich solche Coins einzuhandeln, die spätestens beim Verkauf Probleme verursachen.
All das hat Bitcoin mittlerweile so mühsam gemacht, dass man gute Gründe braucht, um es zu verwenden.
Falsche Entscheidungen haben Konsequenzen
Aber es gibt noch einen potenziellen Grund: Die Community hat es verbockt.
Vielleicht bestand vor etwa zehn Jahren die Chance, dass sich Bitcoin als Zahlungsmittel durchsetzt. Die regulatorischen Umstände waren einfach, die Darknetmärkte zogen viele Konsumenten weicher Drogen zu Bitcoin, das Interesse war groß, immer mehr Online-Shops akzeptieren die Währung, die Wallets waren nutzerfreundlich.
Allerdings kam dann der Blocksize-Streit. Ohne in die Tiefe zu gehen, steht fest, dass er ab etwa 2015 die Community spaltete und die „Adoption“ als Zahlungsmittel auf „Lightning“ verschob, weil schlicht keine Kapazität mehr verfügbar war.
Die Wallet-Entwickler – ohnehin unterbezahlt – wurden durch die Core-Entwickler außer Atem gehalten. Sie mussten Algorithmen entwickeln, Gebühren zu kalkulieren, SegWit, bech32, Lightning, Taproot, RBF integrieren. Das ließ keine Zeit, um das zu tun, was Wallet-Entwickler tun sollten: die Nutzererfahrung zu verbessern.
Das Ergebnis ist, dass die Wallets heute eher weniger nutzerfreundlich sind als vor 10 Jahren. Erst in den letzten Jahren setzten sich gut zu benutzende Lightning-Wallets durch, etwa Phoenix, die das Potenzial haben, einen Durchbruch in die Masse zu tragen.
Allerdings hat die Konkurrenz nicht geschlafen. Banken führten Echtzeit-Transaktionen ein, PayPal wurde besser, andere Kryptowährungen kamen auf den Markt, die Apps von Banken unterstützen Transaktionen per Foto oder QR-Code – während Bitcoin-Wallet die letzten acht Jahre damit verbracht haben, den Status Quo mühsam zu erhalten.
Was man machen sollte
Man kann nicht wissen, ob Bitcoin jemals eine Chance gehabt hatte, sich als Zahlungsmittel durchzusetzen. Klar ist aber, dass bewusste Entscheidungen der Community ab etwa 2015 jede Chance blockiert haben.
Mittlerweile hat Bitcoin mit einigen Lightning-Wallets die Chance, diesen Weg fortzusetzen. Neben Lightning sind auch Onchain-Zahlungen wieder günstig, und es bilden sich erste andere „Layer-2“-Lösungen.
Um aber in Sachen Nutzerfreundlichkeit mit PayPal und Banken mithalten zu können, gibt es noch einiges zu tun: Man muss die Adressen überwinden und durch Usernamen ersetzen, Mittelsmänner ermöglichen, die – idealerweise ohne volle Treuhand – wie bei PayPal eine Zahlung rückgängig machen oder zumindest einfrieren können. Man müsste Multisig vereinfachen, es erlauben, mit einem Klick nicht nur zu zahlen, sondern auch die Lieferadresse mitzusenden, und man müsste eine Art Lastschrift einführen.
Für vieles steht bereits die Infrastruktur: Lightning hat bereits Standards für Lastschriften, lesbare Adressen, gespaltene Zahlungen und mehr, während sich Nostr gut darin einfügt und etwa verschlüsselte Nachrichten erlaubt. Es ist möglich.
Die besten Voraussetzungen seit langem
Die technische Infrastruktur, um Bitcoin als Zahlungsmittel zu verwenden, baut fast ausschließlich auf Lightning auf. Das bringt einige Probleme mit sich:
- viele nicht-treuhänderische Lightning-Wallets sind nicht eben nutzerfreundlich
- die beliebten Hardware-Wallets unterstützen Lightning nicht
- die wenigsten Börsen erlauben die Auszahlung per Lightning
Dies droht, Kompatibilitätsproblemen aufzuwerfen, die für neue User enorm abschreckend sein können. Wie bringt man die Bitcoins von der Hardware-Wallet in die Lightning-Wallet? Wie von einer Börse dorthin?
Ungeachtet dessen hatte Bitcoin technisch seit langem nicht mehr so viel Potenzial, um als Zahlungsmittel den Durchbruch in die Masse zu schaffen. Es gibt technisch noch ein wenig zu tun, vor allem, um walletübergreifende Standards zu etablieren. Aber dies könnte sich in den kommenden ein bis zwei Jahren weitgehend erledigt haben.
Es bleiben aber die unangenehmen Fragen: Hat Bitcoin überhaupt eine Chance? Wird eine kritische Masse bereit sein, die Volatilität hinzunehmen? Sind die Hindernisse durch die Regulierung überwindbar? Und hat die Bitcoin-Community bereits das Zeitfenster verpasst, in dem der Durchbruch möglich gewesen wäre?
Solche Fragen kann man nicht beantworten. Die Verbreitung als Zahlungsmittel ist kurz- und mittelfristig kein besonders wahrscheinlicher Bull Case. Aber eine gewisse Chance besteht.