Tron (TRX) ist eine mäßig bekannte, aber erstaunlich erfolgreiche Blockchain. Bekannt ist sie vor allem für ihren exzentrischen Gründer und einen großen Stablecoin – doch es gibt noch mehr zu berichten. Wir werfen einen gründlichen Blick auf die Kryptowährung.
Sie sind selten, aber es gibt sie: Kryptowährungen, die im Lauf von Monaten und Jahren auch gegen Bitcoin gewinnen. Eines dieser Beispiele ist Tron (TRX). Der Coin steigt seit 2018 in Euro relativ solide an und legt auch in Bitcoin zu.
Der Preis von Tron (TRX) in Euro seit 2018 bei coinmarketcap.com
Falls überhaupt ist Tron den meisten als die Blockchain bekannt, auf der der Großteil der Transaktionen von Tether (USDT), dem größten Stablecoin, läuft. Dies bleibt die wichtigste, aber nicht die einzige Anwendung von Tron.
Wir werden im Folgenden die Geschichte von Tron erzählen, die Technologie beschreiben und Erfolge darstellen, aber auch keine Kritik vermeiden.
Von der ICO zu einer der meistgenutzten Blockchains
Die Geschichte von Tron begann Ende 2017 mit einer ICO auf Ethereum. Die in Singapur gegründete TRON-Foundation verkaufte Tronix-Tokens (TRX) für rund 77 Millionen Dollar und versprach, eine „universelle Credit-Plattform für globale Entertainment-Netzwerke“ zu schaffen.
Hinter Tron stand und steht Justin Sun, schon damals kein Unbekannter. Der 1990 geborene Chinese arbeitete bereits ab 2013 bei Ripple mit und gründete in China eine Chat-App. Forbes China listete ihn 2015 unter den „30 unter 30“.
Fast unmittelbar nach der ICO wurde Tron kritisiert. Das Whitepaper, mit dem das Projekt Geld eingesammelt hatte, enthalte Plagiate, hieß es: Es habe Abschnitte aus dem Whitepaper des Interplanetary File Systems ohne Referenz kopiert. Weitere Plagiate wurden kurz darauf angeprangert, die Entwickler des Clients EthereumJ, den Tron geforkt hatte, klagten über Lizenzverstöße.
Dessen ungeachtet mauserte sich Tron zu einer der am meisten benutzten Blockchains. Die Webseite nennt heute 257 Millionen Accounts, fast 8,5 Milliarden Transaktionen und 13.778 Milliarden Dollar Transfers. Und diejenigen, die in die ICO investiert haben, haben beinahe 80fach profitiert.
Irgendetwas macht Tron richtig. Aber was?
Übernehmen, was verfügbar ist
Beginnen wir mit der Technologie. Wir beschreiben sie auf Basis des Whitepapers 2.0, das den aktuellen Stand darlegt.
Tron hat, vor allem am Anfang, sehr wenig neu erfunden, aber sich frei bei anderen Blockchains bedient. Im Grunde kombinierte Tron zwei Elemente, die in dieser Zeit, 2017 und 2018, öffentlich verfügbar und bereits gut erprobt waren.
Erstens Ethereum: Tron hat Ethereum geforked und die komplette Ethereum Virtual Machine (EVM) übernommen, also die Umgebung, in der Smart Contracts ausgeführt werden. Ein großer Teil der Entwickler-Arbeit hinter Etheruem landete also für lau auf Tron, das nun mit jedem Smart Contract auf Ethereum kompatibel ist. Eine „dApp“ auf Ethereum ist mit wenigen Klicks auf Tron gebracht, Upgrade und andere Entwicklungen lassen sich zudem mit vergleichsweise geringer Mühe integrieren.
Verändert hat Tron jedoch den Konsens-Mechanism. Das ist der zweite Baustein. Anstatt Proof of Work (wie es Ethereum damals benutzte) basiert Tron auf „Delegated Proof of Stake“ (DPoS). Dies ist ein Consens-Mechanismus, der in dieser Zeit relativ beliebt war, Blockchains wie BitShares, Steem, Lisk nutzen ihn. DPoS bedeutet, dass jeder, der ein Token hält, Delegierte wählen können, die dann Blöcke validieren dürfen.
Die Anzahl der Validatoren (sie entsprechen den Minern) wird damit bewusst klein gehalten, nämlich auf 27, was der Skalierbarkeit zugute kommt. Dank der geringeren Anzahl der Validatoren kann Tron die Intervalle zwischen den Blöcken auf drei Sekunden senken, ohne wie andere Blockchains an zu großen Latenzen zu leiden. Zugleich erlaubt die Wahl der Delegierten den einzelnen Stakern zumindest ein gewisses Ausmaß der Kontrolle. DPoS gilt als vernünftiger Kompromiss zwischen Dezentralisierung und Skalierbarkeit.
Electricity und Bandwidth Points
Neben diesem Flickwerk aus anderen Projekten hat Tron auch weitere eigene und fremde Innovationen integriert, teils von Anfang an, teils erst im Lauf der Zeit.
So hat Tron eine dreischichtige Architektur eingeführt, die aus Storage Layer, Core Layer und Application besteht. Diese Modularisierung könnte die Entwicklung vereinfachen und einzelne Elemente besser skalieren. So wird etwa die Blockchain wird wie bei Bitcoin in einer LevelDB-Datenbank gespeichert, der State – dies entspricht dem UTXO-Set — hingegen in einer KhaosDB.
Später hat Tron native Dezentrale Börsen (DEX) integriert, wofür es die Regeln des Bancor-Protokolls verwendete, einer DAO auf Ethereum, und spezielle Accounts für Token gebildet. Anstatt als dApp ist der Wechsel von Token so auf der Konsens-Ebene möglich.
Eine Besonderheit von Tron ist es, nicht wie Ethereum „Gas“ als Einheit für Gebühren zu verwenden, sondern zwei Konzepte, „Bandwidth Points“ und „Energy“. Die Bandwidth Points basieren auf der Größe einer Transaktion, die Energy auf der Rechenleistung, die ein Smart Contract verlangt. Beides kann man erhalten, indem man TRX-Token einfrieren. Meiner Benutzererfahrung nach bezahlt man aber immer eine eine Gebühr in TRX, nicht anders als auf anderen Blockchains.
Schließlich übernahm Tron das Konzept der „Transaction as Proof of Stake“ (TaPoS) ein, welches von EOS, einer anderen Blockchain dieser Zeit, eingeführt wurde. Jede Transaktion muss dabei den Hash des letzten Blockheaders enthalten. Dies verhindert, dass Transaktionen auf Forks verbreitet werden, und schützt vor einer Vielzahl von Angriffen, etwa Hardforks und Double Spends.
Wer kopiert, ist kompatibel
Die Technologie von Tron ist, muss man zugeben, gut zusammengeklaut, um mit Abstrichen in der Dezentralisierung eine gut skalierbare Smart-Contract-Blockchain zu bilden. Die Elemente, die Tron danach eingefügt hat, wirken durchdacht und plausibel.
Das Motto „Besser gut geklaut als schlecht erfunden“ scheint bei Ethereum-Klonen ein Erfolgsrezept zu sein. Während Cardano und Polkadot, die mit viel Brillanz und Mühe Ethereum neu erfinden, weiterhin eher marginal genutzt herumeiern, haben sich Tron und die Binance Smart Chain (BSB) bei den Usern etabliert, indem sie weite Teile von Ethereum einfach nur kopiert haben. Denn die Kopie hat, anders als die Neuerfindung, den großen Vorteil der Kompatibilität.
Aber Technologie reicht niemals aus. In den Jahren des ICO-Booms 2017/18 sind zahlreiche ähnliche Blockchains gestartet; das Versprechen, Ethereum neu zu erfinden, aber besser skalierbar, wartete hinter jeder Ecke auf Investoren.
Die technische Basis passt – aber was hat Tron noch anders gemacht als viele andere Blockchains?
Eine schillernde Persönlichkeit
Ein nicht zu unterschätzender Faktor dürfte der Gründer sein – Justin Sun. Er ist eine schillernde Persönlichkeit mit Hang zum Narzissmus, ein exzellenter Werber, sowohl für sich, als auch für Tron. Justin Sun liebt es, sich selbst zur Marke zu machen. So wird die kleinste Einheit der TRX-Token ein „Sun“ genannt wird, womit er sich eben mal mit Satoshi gleichsetzt. Dreist, aber so entsteht eine Marke.
Justin Sun, nun auch Teil der WBTC-Geschichte. Bild von MelfarraTron via wikipedia.com. Lizenz: Creative Commons
Es dürfte auch an Sun liegen, dass die ICO von Tron den Support einer Vielzahl chinesischer Krypto-Prominenzen fand, darunter Bitmains Jihan Wu und viele mehr. Auch wird er eine Rolle dabei gespielt haben, dass Tron unmittelbar nach der ICO eine gut klingende Partnerschaft nach der anderen an Land zog.
Partnerschaft um Partnerschaft, aber wenig Früchte
Als „Blockchain für die Entertainment-Branche“ kooperierte Tron vor allem mit Unternehmen der Branche, je bekannter, desto besser für das Token.
Noch im Januar 2018, bevor die Blockchain im April live ging, ging Tron eine Partnerschaft mit Game.one ein, später mit Sony Entertainment, noch später mit Pornhub, dem Youtube für erotisch vernachlässigte Erwachsene. Nicht ganz dazu passend war eine Kooperation mit dem Fahrradverleihsystem oBike. Aus den meisten dieser Partnerschaften wurde überhaupt nichts, am ehesten noch bei Pornhub, wo die „Models“ TRX-Zahlungen empfangen konnte, nach PayPal sie blockierte. Doch auch da blieb das Interesse überschauen.
Innerhalb des Krypto-Ökosystems übernahm Tron Steemit, eine Publishing-Plattform auf Basis einer Blockchain (Steem), die einigermaßen erfolgreich war. Es gab darauf ein wildes Drama, als Justin Sun versuchte, die Blockchain Steem in sein Tron-Ökosystem zu zwingen, was in deren Spaltung und Niedergang resultierte.
Fruchtbarer war der Erwerb von BitTorrent im Juli 2018, dem bekannten P2P-Filesharing-Service, für 140 Millionen Dollar. Daraus wurde mittlerweile die BitTorrent-Chain (BTTC), die eine Art Zentralbrücke zwischen verschiedenen Blockchains sein soll. Zugleich wird das BTT-Token auf Tron mit dem Filesharing von BitTorrent verwoben. So kann man mit ihm etwa den Download beschleunigen.
Insgesamt schaffte Tron es zwar, Partner aus der Medienbranche zu gewinnen – konnte daraus aber nichts bilden, das auf dem Markt ankam. Die Idee, eine Blockchain fürs Entertainment zu schaffen, schien zum Scheitern verurteilt zu sein, und an sich hätte hier das Ende von Tron stehen können.
Doch eine der Stärken von Tron ist es, flexibel zu bleiben und sich bei Bedarf umzuorientieren.
Tether landet auf Tron
Im März 2019 landete Tether eine Partnerschaft, die die Blockchain vermutlich vor dem für Shitcoins üblichen Niedergang in die Bedeutungslosigkeit rettete: Tether, die Herausgeberin des gleichnamigen Stablecoins (USDT), kündigte an, künftig auch Tron zu verwenden.
Tether war zunächst auf dem Bitcoin-basierten Omni-Protokoll gelaufen und dann zu Ethereum migriert. Doch ab etwa 2020 begann Tron, Ethereum als wichtigste Grundlage für Tether abzulösen; seit Mai 2020 findet mehr als 50 Prozent aller Tether-Transaktionen auf Tron statt.
Blockchains, die Tether benutzt, nach einem Dashboard auf Dune Analytics
Es wird spekuliert, ob Justin Sun einen Deal mit Tether ausgehandelt hat. Auszuschließen ist das nicht, doch Tron könnte schlicht Glück gehabt haben. Denn über das Jahr 2020 hinweg dürfte es ausgereicht haben, da zu sein. Während die Gebühren auf Ethereum im Hype immer weiter stiegen, blieben Transaktionen auf Tron günstig, da die Blockchain zu dieser Zeit für kaum etwas anderes genutzt wurde. Dank der kurzen Blockintervalle waren sie zudem plötzlich viel schneller.
Seitdem ist Tron die Blockchain für Tether, das vermutlich einzige Beispiel für eine Blockchain, die kleiner ist als ein externes Token, das auf ihr läuft: Tether hat eine Marktakpitalisierung von knapp 120 Milliarden Dollar, selbst ein Viertel davon wäre noch viel mehr als die 13 Milliarden, die TRX erreicht. Dementsprechend sind die meisten Werte, die auf Tron übertragen werden, USDT.
Allerdings hört die Tron-Geschichte auch hier nicht auf.
DeFi und NFTs
Flexibel, wie Justin Sun und Tron offenbar sind, griffen sie die meisten Trends im Ökosystem der vergangenen Jahre auf.
Es gibt etwa den APENFT-Marktplatz für NFTs. Damit integrierte Tron einen der größten Trends der letzten Jahre. Mit „TRONscriptions“ knüpfte Tron zudem an den Ordinals-Trend an, und mit GameFi bietet es auch eine Plattform für Spiele an. Tron scheint in der NFT-Welt allerdings keine große Rolle zu spielen. Die meisten NFTs werden weiter auf Ethereum, Solana, BSB und Polygon gehandelt. Doch Tron zeigt, dass man bereit steht, falls es einen Bedarf gibt.
Dasselbe bei DeFi, den Dezentralen Finanzen, dem zweiten großen Trend der letzten drei bis vier Jahre: Das JUST-Netzwerk – der Name feiert einmal mehr Justin Sun – bringt „JustDeFi“ zu Tron. Es deckt die üblichen DeFi-Anwendungen ab: „JustStable“ generiert den algorithmischen Stablecoin, der ähnlich funktioniert wie der DAI-Dollar; bei der JustLend DAO kann man Coins leihen und verleihen kann; und JustCrypto bildet andere Kryptowährungen, etwa BTC, ETH, LTC oder Dogecoin, auf der Tron-Blockchain ab.
Kurzum – alles, was in den letzten Jahren im Ökosystem zum Trend wurde, findet sich über kurz oder lang auf der Tron-Blockchain wieder. Innovativ ist es in der Regel nicht, aber solide kopiert – und es kann von der starken Liquidität der USDT auf Tron schöpfen. Im DeFi-Bereich scheint dies zu funktionieren: Mit einem „Total Value Locked“ (TVL) von gut acht Milliarden Dollar ist Tron im DeFi-Sektor nach Ethereum auf den zweiten Platz geklettert, was sich vor allem JustLend verdankt.
Aber bei all dem gibt es auch Anlässe, Tron zu kritisieren, und es gab auch einige Rückschläge für Justin Sun und seine Blockchain.
Zentralisiert und angeklagt
Natürlich kann man bei Tron kritisieren, dass die Blockchain unzureichend dezentral ist. Der Konsens-Mechanismus „Delegated Proof of Stake“ verengt die Anzahl der Validatoren auf 27.
Unter diesen Validatoren findet man Binance, Poloniex, die TRONALLIANCE; OKCoin, Blockchain.org, Huobi, Ant Investment, OKX, Google Cloud und mehr. Mit der Dezentralität und Erlaubnisfreiheit des Minings – oder Stakings auf Ethereum – hat dies nicht mehr viel zu tun. Tron ist eher eine geteilte Datenbank eines Kartells von Unternehmen als eine echte Kryptowährung.
Umso ironischer ist darum ein anderer Vorwurf, der Tron zunehmend ereilt – nämlich den, die Zahlungen illegaler Organisationen abzuwickeln. Dies geht wohl auf die Tether zurück, die immer mehr Anhänger unter Kriminellen finden, die die Volatilität von Bitcoin scheuen. Erst im November 2023 wurde Tron vorgeworfen, Zahlungen an Terrororganisationen wie Hamas, Hisbillah oder den Islamischen Jihan in Palästina auszuführen.
Tron und Tether reagieren darauf, indem sie mit TRM-Labs kooperieren, um Zahlungen auf Tron besser zu analysieren, und „schmutzige“ Adressen entschiedener einzufrieren. Seitdem nimmt das Tempo, mit dem Tether Adressen einfriert, rapide zu.
Schließlich läuft derzeit noch ein Gerichtsprozess, in dem die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC die Tron Foundation und Justin Sun anklagt, mit den TRX-Token nicht registrierte Securities (Wertpapiere) herausgegeben zu haben. Dieser Prozess läuft schon einige Jahre, das letzte Update hierzu ist, dass ein New Yorker Gericht sich vorsichtig auf die Seite von Tron schlägt, ohne den Prozess damit zu entscheiden.
Dies alles wird aber nicht daran ändern, dass sich Tron als eine der wenigen Blockchains im Ökosystem etabliert hat, die tatsächlich benutzt wird, anstatt nur Spekulationsobjekt zu sein. Ob man es mag oder nicht.