Mit der MiCA-Verordnung hat die EU auch regulatorische Auflagen für Stablecoins beschlossen. Für Tether, den Herausgeber des größten Stablecoins USDT, gehen die Auflagen offenbar zu weit. Der CEO bekennt, sie nicht erfüllen zu wollen. Stattdessen werde man sich auf den Rückzug aus Europa einstellen.
In einem Interview sprach der CEO von Tether, Paolo Arduino, über Krypto, Stablecoins und Europa. Das Interview gibt einen ziemlich guten Einblick über die Folgen der EU-Regulierung und die Bedeutung von Dollar-Stablecoins.
Tether gibt mit USDT den größten Stablecoin heraus. Paolo erzählt zunächst, dass die meisten Kunden von Tether aus Asien sowie dem Mittleren Osten kommen, aber auch aus traditionellen Offshore-Standorten wie den British Virgin Islands oder den Bahamas. Europa hingegen sei mehr oder weniger nicht präsent.
Das mangelnde Interesse Europas erklärt auch, warum Tether nicht vorhat, die MiCA-Auflagen an Stablecoins zu erfüllen. Es gibt zu viel zu leisten und zu wenig zu gewinnen. Weder stehe man im Begriff, es zu versuchen, noch habe man es mittelfristig vor. Im Grunde gibt Tether Europa auf, bekennt Paolo.
Insgesamt blickt der CEO pessimistisch auf die Zukunft von Krypto in der EU. Die MiCA-Verordnung mache es unmöglich, dass in den Mitgliedsstaaten der EU ein unternehmensfreundliches regulatorisches Rahmenwerk entstehe. „Die Botschaft ist klar: Europa will Krypto nicht. Diese Regulierung beschränkt den Zugang, insbesondere für Einsteiger, erheblich.“
In gewisser Weise, fährt Paolo fort, sei dies verständlich. Denn Europa muss den Euro schützen. „Man muss zugeben, dass Stablecoins in Dollar den Markt für den Euro womöglich erdrücken.“ Stablecoins wie USDT bringen den Dollar in einer neuen, elektronischen Form auf die ganze Welt; eine Art „Hyperdollarisierung“ ist die überraschende Folge der Krypto-Revolution, und sie droht, ungeschützte, schwächere Währungen, wie eben den Euro, zu verdrängen.
Europas verzweifelter Versuch, „eine unerbittliche Welle der Adoption zu bekämpfen“
Der Interviewer stellt danach die tiefsinnige Frage, ob Europa die Krypto-Revolution begrüßen müsse, da es keine so einflussreiche Währung wie den Dollar habe. Wer nicht vom Dollar überrannt werden möchte, hat nur die Wahl zwischen einer extrem restriktiven Politik, wie China sie fährt, oder offensiv auf Krypto zu setzen, anstatt eigenen Stablecoins Steine in den Weg zu legen.
Paolo geht dieser Frage etwas aus dem Weg. Er beklagt, dass Europa verzweifelt versuche, „eine unerbittliche Welle der Adoption zu bekämpfen“, und in Kauf nehme, Innovation zu behindern, um neue Technologien zu regulieren. Dabei verstehen diejenigen, die die Regeln ausarbeiten, seiner Erfahrung nach zu oft nicht, wie die Technologie überhaupt funktioniere.
Etwa bei MiCA. Diese Verordnung setzt strikte Auflagen, wie Stablecoin-Herausgeber ihre Reserven verwalten müssen. So müssen die Herausgeber kleiner Coins 30 Prozent, die von großen sogar 60 Prozent in Bankeinlagen halten. Dies erschwere es, meint Paolo, rasch einen Zugriff auf große Summen zu erhalten, wie es bei massiven Auszahlungswünschen nötig sei. Es gab Monate, in denen Tether 20 Milliarden Dollar auszahlen musste. Dies wäre mit einer solchen Regulierung gar nicht möglich gewesen.
Die Verpflichtung, einen gewissen Anteil in Bankeinlagen zu halten, setze die Herausgeber von Stabecoin zudem dem Risiko aus, durch Bankenpleiten alles zu verlieren. Mit anderen Finanzprodukten, etwa Staatsanleihen, schütze man sich besser.
Aber die Auflagen gehen noch weiter: MiCA verlangt von Stablecoin-Herausgebern, die Einlagen auf sechs, möglicherweise sogar zwölf Banken zu verteilen. Da nur wenige Banken in Europa mit Krypto-Unternehmen zusammenarbeiten wollen, ist es ziemlich schwer, auch nur eine zu gewinnen.
Aus diesen Gründen plant Tether derzeit nicht, die europäischen Regulierungsauflagen. Der Kontinent stellt bei einer geringen Bedeutung für das Geschäft des größten Stablecoins viel zu harte Auflagen.
Circle (USDC) möchte Auflagen erfüllen
Anders sieht es jedoch bei Circle aus, dem Herausgeber von USDC, aus. Der nach Tether zweitgrößte Stablecoin hat Paris als Hauptquartier ausgewählt, um dort sein „EU- und MiCA-Regulierungshauptquartier“ einzurichten – was ja stark dafür spricht, dass Circle vorhat, die Auflagen zu erfüllen.
Vor etwa einem Jahr schrieb Patrick Hansen, EU-Lobbyist von Circle, auf dem Unternehmensblog, dass die MiCA-Verordnung ein echter Game Changer sei. Für Hansen ist MiCA vor allem attraktiv, weil es die Regulierung in der EU vereinheitlicht, sodass Krypto-Unternehmen nicht länger 27 verschiedene Regelwerke umsetzen und mit 27 verschiedenen Regulierern sprechen müssen, sondern überall wissen, welche Regeln gelten. Sobald ein Unternehmen eine MiCA-Lizenz besitzt, gilt diese in der ganzen EU.
Über die genauen Auflagen für Stablecoins und was diese konkret für Circle bedeuten, schweigt sich Patrick Hansen jedoch aus. Doch dass er MiCA preist, spricht dafür, dass Circle vorhat, die Auflagen zu erfüllen.
Die beiden großen Stablecoin-Herausgeber könnten sich also, was Europa angeht, nicht unterschiedlicher aufstellen. Es wird in Zukunft vermutlich USDC auf EU-Börsen und anderen Plattformen geben, nicht jedoch USDT. Darauf sollte sich jeder, der Stablecoins in der EU verwendet, einstellen.
Europa wird einen Preis für MiCA bezahlen
Der Rückzug von USDT wird eine ziemlich unangenehme Konsequenz haben: Während sich USDC vor allem im spekulativen Geschäft rund um dezentrale Finanzen (DeFi) etabliert hat, fungieren die Tether-Dollar als eine Art Leitwährung in vielen internationalen Grauzonen: Dort, wo in der zweiten und dritten Welt die Inflation die Ersparnisse vernichtet, wo Finanzsanktionen umgangen werden, Betrüger ihre naiven Opfer fleddern und dort, wo die Remittance-Kosten zu viel ins Verdienst der Leute fressen – dort ist USDT mittlerweile die gängige Währung der Wahl.
Ob man es mag oder nicht: Tether ist eine global relevante Währung, die sehr wahrscheinlich in den kommenden Jahren noch eine deutlich größere Rolle spielen wird. Wenn die EU jedoch mit ihren Auflagen dafür sorgt, dass es im regulierten Kryptomarkt der EU keinen Platz für USDT gibt, bewirkt sie damit vor allem eines: sie beraubt sich selbst eines Hebels, um Einfluss auf etwas Wichtiges auszuüben.