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Europaparlament möchte „Bitcoin, Libra und Co.“ nochmal regulieren

source-logo  bitcoinblog.de 24 September 2020 07:00, UTC

Man sollte meinen, im Jahr 2020 würde auch die Politik Kryptowährungen zumindest im Ansatz verstehen. Dass dem noch nicht so ist, zeigt ein Post des Europaparlamentariers Sven Giegold, der mit seinen Kollegen einen Gesetzesentwurf für eine europaweite Regulierung von „Krypto-Assets“ vorgelegt hat.

Eigentlich wollte ich mich ohne jede Vorurteile auf den Text auf der Webseite des Grünen-Politikers Sven Giegold einlassen. Aber, sorry. Schon nach den ersten Zeilen wurde mir klar, dass das nicht mehr möglich ist. Daher muss ich diesen Artikel damit beginnen, was er nicht ist:

Er ist KEIN Statement gegen oder für eine Partei. Ich persönlich finde die Grünen sympathisch, auch wenn ich längst nicht mit allem einverstanden bin, was sie tun. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es darum, dass ein Europapolitiker, der zufällig den Grünen angehört, ein Statement zur Regulierung von Kryptowährungen abgibt, das in seiner Ahnungslosigkeit symptomatisch ist.

Weiter ist dieser Artikel KEIN Statement von Bitcoin.de oder sonst einer Organisation, sondern gibt einzig und allein meine persönliche Einschätzung des Textes von Sven Giegold wieder.

Nachdem dies gesagt ist, können wir loslegen.

Libra, und Libra, und Libra

Worte sind wichtig. Das weiß jeder. Die Wahl der Worte verrät den Rassisten und den politisch Überkorrekten, sie scheidet den Laien vom Experten, und sie zeigt, ob man sich mit einer Sache beschäftigt hat oder ob man in Ignoranz schwelgt. Die Wortwahl im ersten Satz von Giegolds Texts deutet darauf hin, dass bei ihm letzteres der Fall ist:

…gestern am 10.09.2020 hat das Europaparlament ein erstes starkes Zeichen gesetzt, mit der überfälligen Regulierung von Bitcoin, Libra & Co. auf europäischer Ebene endlich ernst zu machen.

Bitcoin, Libra und Co. Warum? Warum schreibt er das? Libra, die von Facebook geplante Währung, gibt es noch nicht, und wenn man sich anschaut, wie ein großer Partner nach der anderen die Libra-Assoziation verlässt, weil der Druck der Politik fast augenblicklich zu groß wurde, ist es fraglich, ob Libra jemals wirklich existieren wird, und, falls ja, ob sie jemals mehr als eine unbedeutende Randerscheinung sein wird. Hätte Giegold nicht einfach auf Coinmarketcap nach einer Kryptowährung suchen können, die nicht Bitcoin heißt? Etwa Ethereum, Ripple oder Tether?

Und überhaupt – was meint er mit der Regulierung, die überfällig ist, noch bevor es Libra überhaupt gibt?

Momentan gelten für diese sogenannten Krypto-Assets nur unzureichende oder gar keine Regeln, was sie seit Jahren zu einem Tummelplatz für Kriminelle und Betrüger macht. Hier braucht es endlich einen umfassenden Regelungsrahmen, der kriminelle Aktivitäten ausbremst und seriösen innovativen Unternehmen Rechtssicherheit bietet.

Erneut fragt man sich, ob Giegold weiß, wovon er schreibt. Die „sogenannten Krypto-Assets“ sind in Europa streng bis sehr streng reguliert. Es gibt in der Eurozone so gut wie keine große Bitcoin-Börse; in Deutschland gibt es noch nicht einmal mehr Bitcoin-Automaten oder einen legalen P2P-Handel.

Die EU hat Bitcoin und „Krypto-Assets“ – schon alleine die Bezeichnung ist üblicherweise ein Symptom für Ahnungslosigkeit – schon vor Jahren in ihre Anti-Geldwäsche-Gesetze aufgenommen, die Mitgliedstaaten sind derzeit dabei, diese einheitliche Regelung umzusetzen, und die FATF hat für die ganze Welt Regeln aufgestellt.

Dass es „nur unzureichende oder gar keine Regeln“ gibt, ist schlicht falsch. Es gibt eine Fülle von Regeln, die zum Teil umgesetzt sind und zum Teil umgesetzt werden. Es mag gut gemeint sein, noch ein weiteres Regelwerk aufstellen zu wollen. Aber am Ende hilft man damit keinem.

Falsch ist auch, dass die „Krypto-Assets“ ein „Tummelplatz für Kriminelle und Betrüger“ sind. Die meisten Analysen zeigen, dass der Anteil der Kriminellen gering bis sehr gering ist, in jedem Fall nicht (wesentlich) höher als bei Bargeld. Die jüngst ans Licht gekommenen Fincen Leaks bestätigen erneut, dass die Banken weiterhin die Zugmaschinen der Geldwäsche sind, selbst dann, wenn es um Einnahmen aus einer Masche geht, die wie OneCoin nahe bei Kryptowährungen ist. Auch das Bundesfinanzministerium hat bereits festgestellt, dass Bitcoins in Sachen Geldwäsche nur ein sehr geringes Risiko darstellen.

Den „umfassenden Bezugsrahmen“, den Herr Giegold herbeisehnt, gibt es längst. Kryptowährungen wurden in umfassende KYC- und AML-Gesetze eingeordnet. Wie die jüngste Veordnung zu Anwaltsberufen im Immobilienwesen zeigt, sogar unnötig streng. Jede Börse in der Eurozone setzt KYC-Regeln um. Einen „Bezugsrahmen“ jedoch, der „kriminelle Aktivitäten“ umfassend „ausbremst“, wie er dem Politiker wohl vorschwebt, ist nicht machbar. Das zeigen die Erfahrungen mit Bargeld, das zeigen die Erfahrungen im Bankenwesen, und das zeigen die Erfahrungen im Drogenhandel: Der Reichweite der Wirkung regulatorischen Handels sind Grenzen gesetzt. Sie kann unerwünschte Phänomene reduzieren. Aber sie kann sie nicht aus der Welt schaffen, sofern es ein Bedürfnis nach ihnen gibt.

Immerhin hat Giegold im Ansatz recht, wenn er meint:

Gleichzeitig bietet die Technologie hinter virtuellen Währungen große Chancen für Innovation und Effizienz im Finanzsystem.

Wie so viele, die Begriffe verwenden wie „Kryptoassets“ oder Sätze wie „Bitcoin, Libra und Co.“, meint Giegold offenbar, dass das Potenzial von Kryptowährungen erst realisiert wird, wenn die Banken der Eurozone einen digitalen Euro herausgeben oder ein Konzern wie Facebook einen digitalen Stablecoin. Dabei ist es in Wahrheit schon längst geschehen. Bitcoin, Ethereum und Tether haben das Finanzwesen bereits revolutioniert, es gibt Echtzeit-Transaktionen, Mikrotransaktionen, DeFis, Stablecoins, und so weiter. Wer einmal im Krypto-Finanzsystem war, erkennt, dass „Innovation und Effizienz“ längst Alltag sind.

Der Bock als Gärtner

Die Fokusierung auf Libra, die offensichtliche Unkenntnis von Technik, Regulierung und Ökonomie – all das deutet darauf hin, dass Giegold und seine Kollegen nicht allzu viel Zeit damit vergeudet haben, „Krypto-Assets“ tatsächlich kennen zu lernen. Sie waren offenbar damit beschäftigt, Gesetze für Kryptowährungen zu schreiben:

Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) verabschiedete jetzt mit breiter Mehrheit einen sogenannten legislativen Initiativbericht, in dem starke Forderungen für eine Regulierung von Krypto-Assets an die Europäische Kommission gestellt werden. Die Abstimmung im Ausschuss stellt eine Empfehlung für das Plenum des Europaparlaments dar, das voraussichtlich Anfang Oktober darüber abstimmen wird. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich verpflichtet, auf einen solchen Initiativbericht immer mit einem entsprechenden Gesetzesvorschlag zu reagieren.

Bemühungen, ein neues Gesetz explizit für die sogenannten Krypto-Assets durchzubringen, dazu gibt es schon ein Weilchen. Aber diese gingen Giegold nicht weit genug:

Im Juni hatte der liberale Berichterstatter Ondřej Kovařík einen völlig zahnlosen Berichtsentwurf vorgelegt, der viele Gemeinplätze, aber praktisch keine konkreten Regelungsvorschläge für Bitcoin, Libra & Co. enthielt. Erst dank intensiver Verhandlungen im Ausschuss gelang es, den Bericht deutlich nachzuschärfen und viele starke Anforderungen aufzunehmen.

Dank den Grünen und anderen Parteien im Ausschuss wird das Europa-Parlament also dafür stimmen, ein schärferes Gesetz zu erlassen. Wichtig waren den Grünen, so Giegold, die folgenden Punkte:

Konsequente Anwendung von Regeln zu Geldwäsche und Kundenidentifikation
Studien und Medienberichte zeigen immer wieder, dass Krypto-Assets in erheblichem Umfang für illegale Aktivitäten genutzt werden. Der Bericht fordert deshalb, Anti-Geldwäsche-Regeln systematisch und lückenlos auf den Bereich der Krypto-Assets auszudehnen und vor allem Anbieter und Akteure zur zuverlässigen Identifikation von Transaktionspartnern (sogenanntes Know-Your-Customer-Prinzip, KYC) zu verpflichten. So soll insbesondere sichergestellt werden, dass Ermittlungsbehörden im strafrechtlichen Verdachtsfall mit geringem Aufwand die Begünstigten von Zahlungen ermitteln können. Solche strengen Regeln würden es Kriminellen sehr viel schwerer machen, Krypto-Assets etwa für Geldwäsche, Angriffe mit Erpressungssoftware oder den Handel mit illegalen Gütern zu nutzen.

Wo fangen wir an? Vielleicht damit, dass es durchaus sinnvoll ist, KYC-Regeln ins Kryptowesen einzuführen, und dass dies auch eine vereinte Bemühung der Gesetzgeber benötigt. Aber trotz dieser wohl ehrenwerten Absichten spricht erneut der Mangel an Wissen aus diesem Absatz.

Würde Giegold Bitcoin technisch verstehen, wäre ihm bekannt, dass transparente Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum bereits ein Tracing von Transaktionen zulassen, und dass Blockchain-Analysten aus diesem Tracing eine Fülle an Informationen gewinnen können. Natürlich könnte man das noch verschärfen, etwa indem Börsen und Wallets ihre Kunden auffordern, für Auszahlungen eine Notiz zu hinterlassen. Aber das hätte vermutlich keinerlei Effekt. Die einzige Möglichkeit, das bestehende Regime strenger zu machen, wäre es, dass Börsen und andere Plattformen nur noch Auszahlungen an andere Börsen oder Plattformen zulassen, so dass die Kunden gar nicht mehr in der Lage sind, ihre „Krypto-Assets“ selbst zu besitzen. Das würde aber lediglich dazu führen, dass die EU als Standort für die sogenannten Krypto-Assets über Nacht bedeutungslos werden würde.

Solange die User in der Lage sind, ihre Coins selbst zu verwalten, können sie durch dezentrale Mixer wie Wassabi oder den (dezentralen) Tausch in Privacy-Coin wie Monero ihre Spuren verwischen. Gerade gegen die genannten Angriffe gegen Erpressungssoftware hilft die vorgeschlagene Regulierung überhaupt nichts.

Ferner konnten die Grünen die „Strikte Regulierung von Libra & Co.“ aufnehmen:

Sogenannte Stablecoins versprechen einen festen Wechselkurs gegenüber einer normalen Währung, etwa dem Euro, oder einem Währungskorb. Ohne einen strikten Regelungsrahmen besteht die Gefahr, dass sich Großprojekte wie Facebooks Libra zu alternativen Geldsystemen entwickeln, in denen nicht länger der Staat, sondern mächtige Finanzkonzerne das Sagen über unser Geld haben. Der Bericht fordert, dass Stablecoins die existierenden Anforderungen an sogenanntes E-Geld erfüllen müssen, was die Anbieter unter anderem zum jederzeitigen Umtausch in die normale Währung sowie zur sicheren Verwahrung von Kundengeldern verpflichtet. Wir werden uns im Plenum dafür einsetzen, zusätzlich die Gefahren für Finanzstabilität und demokratische Kontrolle noch stärker in den Blick zu nehmen.

Schon alleine die Überschrift dieses Absatzes zeigt, dass Giegold bzw. seine Parteigenossen so gut wie nichts über den Markt wissen, den sie regulieren wollen. Während es Libra noch nicht gibt – und es zweifelhaft ist, ob es den Facebook-Coin jemals wirlich geben wird – haben wir bereits heute einen innovativen und stark wachsenden Markt der Stablecoins. Tether ist eine 15 Milliarden Dollar schwere Währung, die durch Blacklists bereits der Regulierung zuvorkommt und mit der Nutzung zahlreicher Blockchains vormacht, wie ein innovativer Stablecoins aussehen kann. Dass es kein hinreichendes Audit der Deckung der Tether gibt, scheint den Markt nicht zu stören, und jegliche gesetzliche Anforderungen, dies durchzuführen, prallen an Tether ab.

Beim DAI-Dollar hingegen dürfte sich die Politik fragen, an wen sie sich mit ihren Regulierungswünschen überhaupt wenden sollen. Denn DAI existiert nur als Smart Contract auf der Blockchain. Dafür aber ist die Deckung höchst transparent gegeben und jeder ist in der Lage, die DAI gegen die zugrundeliegenden Ether zu wechseln, ohne dafür die Hilfe eines zentralen Mittelsmannes in Anspruch zu nehmen.

Die Grünen wollen also offenbar einen Stablecoin regulieren, den es noch gar nicht gibt – Libra – während die Wirlichkeit bereits viel innovativer und weitreichender ist, als sie es von Libra in der Zukunft erwarten. Das Parlament schafft es, zugleich zu weit in die Zukunft zu schauen als auch hinter der Gegenwart her zu hinken. Was kann da noch schief gehen?

Ferner sollen die Regeln des geplanten Gesetzes „auch für Anbieter aus Drittstaaten“ gelten müssen:

Da Krypto-Assets aufgrund ihrer digitalen Natur nicht an Ländergrenzen gebunden sind, besteht die akute Gefahr, dass Anbieter von außerhalb der Europäischen Union die europäischen Regeln, etwa bei Verbraucherschutz oder Geldwäsche, unterlaufen. Der Bericht fordert deshalb, rechtliche Regelungen und Mechanismen zu schaffen, die die Einhaltung der Regeln auch durch Anbieter aus Drittstaaten gewährleisten.

Wie rechtliche Regeln dies schaffen sollen, ist mir ein Rätsel. Giegold versteht vermutlich nicht, dass eine Geldüberweisung mit Kryptowährungen nicht viel anders als eine E-Mail ist. Und wenn die Politik eines aus dem Internet gelernt haben sollte, dann, dass es nicht möglich ist, Daten aus Drittstaaten aufzuhalten.

Die Frage nach dem Sinn

Ich höre an dieser Stelle mit dem „Review“ auf. Man sollte das alles nicht falsch verstehen: Ich habe eine sehr große Achtung vor der EU und vor Politikern wie Sven Giegold, die die undankbare und zermürbende Arbeit leisten, die kulturellen Differenzen und auseinanderklaffenden Interessen der Mitgliedsstaaten zu überbrücken, um einen Konsens für eine europaweite Politik zu schaffen, der dann viel zu oft von nationalen Regierungen ausgebremst wird. Ohne die EU und auch ohne den Euro stünde Europa, da bin ich überzeugt, sehr viel schlechter da.

Weiterhin denke ich auch, dass die EU Kryptowährungen auf EU-Ebene regulieren sollte, und ich sehe durchaus, dass es Probleme mit der kriminellen Nutzung geben kann oder dass die EU besorgt ist, dass private Unternehmen ihr die Hoheit über das Geld entreissen.

Aber den Sinn des Vorstoßes der ECON-Arbeitsgruppe verstehe ich absolut nicht. Es gibt bereits eine Regulierung durch die EU-Kommission, die Kryptowährungen in die bestehenden Anti-Geldwäsche-Vorschriften umsetzt, wie es auch einen (verbindlichen) Vorschlag der FATF gibt. Beides zusammen ist derzeit im Begriff, in das nationale Recht einzufließen und dort ökonomische Wirklichkeit zu werden. Ein weiteres Gesetz dürfte hier lediglich Verwirrung stiften und eine sinnvolle Regulierung eher verzögern als beschleunigen.

Sinnvoll könnte es sein, Regeln für die aufkommende Klasse der „Krypto-Assets“ zu schaffen. Beispielsweise im Verbraucherschutz für Stablecoins, im Investorenschutz für Security Token und DeFis und so weiter. Aber hier ist noch vieles zu unklar, gerade bei Token und DeFis, als dass man bereits ein zentrales Gesetz schreiben könnte; die ganze Ökonomie entwickelt sich erst noch, und keiner weiß genau, wohin sie geht. So gut wie niemand hätte vor einem Jahr etwas erwartet, wie es sich derzeit im DeFi-Raum herausbilden.

Daher dürfte es sehr viel sinnvoller sein, die Eigeninitiative der Mitgliedsstaaten zu beobachten – Deutschland hat beispielsweise bereits ein international vielbeachtetes Gesetz zu solchen Krypto-Assets verabschiedet – und später zu handeln.

Vor allem aber sollte ein Gesetz, wenn es denn noch eines bräuchte, mit Blick auf die tatsächlich existierende Krypto-Ökonomie entworfen werden. Giegolds Texts gibt leider nur wenig Hinweise, dass er sich mit der Technik und Wirtschaft der verschiedenen Kryptowährungen ernsthaft beschäftigt hat.

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