Bitcoin selbst ist dezentral. Doch was die Verwahrung angeht, zeichnet sich eine bedrohliche Zentralisierung ab. Immer mehr Coins landen bei Coinbase, das schon jetzt zur größten globalen Bitcoin-Schatzkammer wurde.
Die große US-Börse Coinbase verwahrt offenbar 2.275.123 Bitcoin. Das sind mehr als 10 Prozent aller insgesamt jemals verfügbaren 21 Millionen Bitcoin.
Wenn man bedenkt, dass derzeit nur etwa 19.750.000 Bitcoin existieren – und davon vermutlich ein bis zwei Millionen dauerhaft verloren sind – dürfte Coinbase rund 15 Prozent aller verfügbaren Bitcoins verwahren.
Diese Schätzung geht auf einen Bericht von TimechainIndex zurück, einer Webseite, die die Bitcoin-Bestände verfolgt. Coinbase hält dabei nicht nur große Mengen Bitcoins als Börse und Wechsler, sondern mit seinem Service Coinbase Custody ähnlich viel für andere Institutionen.
Diese anderen Institutionen sind etwa BlackRock, Grayscale, 21Shares, Invesco, Valkyrie, Wisdom Tree, Franklin Templeton – mehr oder weniger alle, die in den USA einen Bitcoin-ETF aufgelegt haben – sowie Unternehmen wie MicroStrategy, Tesla, SpaceX, zahlreiche Miner wie Hut 8 oder Marathon, sowie andere Börsen wie Revolut oder Bitvavo. Coinbase ist damit in eigenem und fremdem Auftrag die größte Bitcoin-Schatzkammer der Welt.
Ich bin nicht ganz sicher, inwieweit sämtliche Zahlen, die TimechainIndex liefert, plausibel sind. Manche der Akteure, die genannt werden, dürften eventuell ihre Bitcoins auf verschiedenen Plattformen lagern.
Aber selbst kleine bis mittlere Ungenauigkeiten würden nicht das Geringste ändern. Coinbase nimmt eine bestürzend überragende Rolle im Ökosystem ein. Wie es Sani von TimechainInex tweetet: „Niemand ist auf den größten Hack der Geschichte vorbereitet“. Wenn jemand Coinbase knackt, kann er Bitcoins in Wert von mehr als 100 Milliarden Dollar rauben. Es wäre quasi das Ende von Bitcoin.
Allerdings ist ein solcher Hack eher unwahrscheinlich. Dank der harten Kryptographie gibt es patente Methoden, Bitcoins mit überschaubarem Aufwand extrem sicher zu verwahren. Coinbase berühmt sich, in 12 Jahren nicht einen Vorfall gehabt zu haben. Man habe „Zero Tolerance für Fehler“, stelle die besten Talente ein, geben ihnen alle nötigen Werkzeuge und Ressourcen. Man investiere fortlaufend in Technologie und Prozesse, um die Sicherheit zu gewährleisten und auszubauen.
Wie genau Coinbase die Assets verwahrt, ist selbstverständlich geheim oder nur vage bekannt. Die Börse schreibt lediglich: „Mehr als nur Cold Storage. Coinbase Storage verbindet physische Sicherheit, konsensbasierte Computation und strikte Prozesskontrollen.“ Vermutlich sind die Schlüssel geteilt, in Multisigs zertrennt, an verschiedenen sicheren Orten verwahrt, und dann auch noch über eine Art eigene Blockchain gesichert.
Die enorme Menge an Coins, die Coinbase verwahrt, zeigt, dass bei Bitcoin eingetroffen ist, was der Analyst Tuur Demeester schon vor einigen Jahren prognostiziert hat: So wie im Zeitalter der Reformation große Banken Gold eingelagert haben – etwa die Amsterdamer Wisselbank – und damit Anleihen und andere Papiere deckten, was den ostindischen Überseehandel erst ermöglichte, besteht der mittlerweile wichtigste Zweck von Bitcoin darin, in einem sicheren Tresor eingelagert zu sein und damit als Basis für andere Finanzprodukte, wie eben ETFs, zu dienen.
Man kann das Ganze noch weiter analysieren und darüber nachdenken, wie viele weitere Bitcoins dem Markt entzogen sind. So wurde etwa ein relativ großer Teil der Bitcoins strafrechtlich beschlagnahmt – etwa in den USA, China und anderen Ländern – und wartet noch darauf, dass die Prozesse abgeschlossen sind, damit sie verkauft werden können. Laut Bitcoin Treasuries hält die USA 213.000 Bitcoins, China 190.000, Großbritannien 61.000 und die Ukraine 46.000 Bitcoin.
Dagegen stecken Bitcoins, die in kriminelle Ströme verwickelt sind, aber noch nicht von der Polizei beschlagnahmt wurden, oft in Geldwäsche-Zyklen fest; sie werden niemals oder nur tröpfchenweise bewegt. So hält die Wallet des Hackers von Mt. Gox weiterhin fast 80.000 Bitcoins, um nur ein Beispiel zu nennen.
Ferner gibt es Bitcoins von gescheiterten oder bankrotten Börsen wie Mt. Gox, FTX und anderen, die im Besitz der Konkursverwalter sind und nur auf einem sehr langen Weg zu den Gläubigern gelangen. Zu diesen „Holdern wider Willen“ kommen noch die Miner, die laut Timechain Index etwa eine Million Bitcoins halten, oder BitGo, das für die Wrapped Bitcoin Token (WBTC) 150.000 Bitcoins hält, und zahlreiche mehr.
Alles in allem bleibt ein weiter Teil der Bitcoins gebunden, während ein relativ geringer Teil tatsächlich im Umlauf ist und zur Preisbildung beiträgt. Dieses Verhältnis von gehaltenen zu umlaufenden Bitcoins dürfte mittlerweile der wichtigste Faktor für die Preisbildung sein, noch lange vor dem Halving oder den einzelnen Hypes.