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FATF setzt Türkei auf graue Liste – und Bitcoin wird dort wichtiger denn je

source-logo  bitcoinblog.de 27 Oktober 2021 11:00, UTC

Die Financial Action Task Force (FATF) setzt die Türkei auf die graue Liste. Damit schadet das international wichtigste Organ gegen Geldwäsche dem Land im genau falschen Zeitpunkt. Die Gründe sind extrem spannend – und zeigen, weshalb Bitcoin in der Türkei geradezu so notwendig geworden ist.

Internationale Organisationen sind keine Ärzte. Den Grundsatz, nicht zu schaden, wenn sie helfen, kennen sie nicht. Stattdessen orientieren sie sich nur an ihren eigenen Maßstäben: Diese entscheiden, wann es Zeit wird, einzugreifen, bestimmen, wie ein Eingriff zu gestalten ist, und beurteilen, ob er erfolgreich war.

So gesehen traf die FATF keinerlei Schuld, als der Kurs der Türkischen Lira in wenigen Tagen um vorübergehend mehr als 5 Prozent einstürzte – nachdem das überstaatliche Organ gegen Geldwäsche das Land am 21. Oktober auf seine graue Liste gesetzt hat. In den Nachrichten zur Inflation der Lira liest man kaum etwas über diese Entscheidung der FATF, aber sehr viel, wie stets, über Präsident Erdogan und dessen irrlichternde Geldpolitik.

Chart Euro – Türkische Lira nach Finanzen.net: Der 21. Oktober und sein Einfluss auf den Kurs sind überdeutlich sichtbar.

Dabei ist es alles andere als eine Banalität, einen Platz auf der grauen Liste der FATF zu erhalten. Die überstaatliche Institution wird das Land künftig genauer beobachten, und die Türkei muss zügig einen Umsetzungsplan vorlegen, wie sie die Mängel in den Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierunug zu beheben plant. Noch schädlicher dürfte aber sein, dass Unternehmen, die mit türkischen Geschäftspartnern handeln, nun gründlicheren Sorgfaltspflichten unterliegen.

Erst im Mai dieses Jahres hat der Internationale Währungsfond (IWF) durch eine Studie bestätigt, dass eine Aufnahme in die graue Liste der FATF „einen großen und signifikanten negativen Effekt“ auf die Kapitalzuflüsse eines gelisteten Landes habe: Die eingehenden Kapitalströme – sowohl Auslandsinvestitionen als auch Banküberweisungen – sanken insgesamt um 7,6 Prozent des Bruttonationalproduktes.

Diese Listung kommt, schreibt selbst das in der Regel auf Seiten der FATF stehende Blog mafianeindanke.de, „zu einem Zeitpunkt, an dem die ausländischen Investitionen in der Türkei bereits den niedrigsten Stand erreicht haben, seitdem Präsident Erdogan vor fast 20 Jahren an die Macht gekommen ist.“ Schon jetzt schrecken „politische Instabilität, eine hohe Inflation und die politische Einmischung in die Geldpolitik und Rechtsstaatlichkeit“ ausländische Geldgeber vor Investitionen in die Türkei ab. So ist etwa der Anteil von im Ausland gehaltenen Anleihen während der letzten fünf Jahre von 25 auf 5 Prozent gesunken. Der Platz auf der grauen Liste drohe der türkischen Lira „einen weiteren Schlag zu versetzen.“

Der Schaden ist kaum zu übersehen – und das bei einem Land, das am Rande des Pulverfasses im Nahen Osten liegt. Wodurch begründet die FATF einen so harten Eingriff mit potenziell unübersehbaren geopolitischen Folgen?

Schwache Aufsicht, starke Kriminelle

Auf der einen Seite, erklärt mafianeindanke.de, haben die erheblichen Defizite der Türkei im Kampf gegen Geldwäsche diesen Schritt „überfällig“ gemacht.

Schon 2019 hatte die FATF der Türkei nach einer Prüfung unzureichende Standards gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung attestiert und das Land aufgefordert, die „Empfehlungen“ umsetzen. Auf dem Herbstplenum in diesem Jahr hat das Organ wohl festgestellt, dass die Türkei dem nicht ausreichend gefolgt sei. FATF Präsident Marcus Pleyer erklärt, die Türkei müsse „ernsthafte Probleme der Aufsicht“ des Bank- und Immobilienwesens sowie des Gold- und Edelsteinhandels angehen. Sie „muss zeigen, dass sie effektiv komplexe Geldwäsche-Fälle aufdeckt und die Verfolgung von Terrorfinanzierung entschieden aufnimmt … sie muss Organisationen wie ISIS und Al-Quaida priorisieren, die von der UN zu Terrororganisationen erklärt wurden.“

Mafianeindanke.de weist darauf hin, dass in der Türkei ein ausgeprägtes Untergrundbankensystem existiere („Hawala“), welches Geldströme intransparent über verborgene Netzwerke route, auch von und nach Deutschland. Verschärft werde dieses Defizit durch die „im Land grassierende Korruption und die vielen schwarzen Kassen der regierenden AKP-Partei sowie die in der türkischen Wirtschaft fest verankerten Gruppierungen der Organisierten Kriminalität“.

Aber dies ist nicht der einzige Grund. Die FATF tadelt die Türkei nämlich nicht nur, weil sie zu wenig tut – sondern auch, und hier wird es spannend: weil sie zu viel tut.

Der Missbrauch der FATF-Standards durch die Tyrannen

Es geht dabei um FATF-Standards gegen Terrorfinanzierung. Nach den Anschlägen vom11. September hatte das Organ das Mandat erhalten, auch Terrorfinanzierung zu bekämpfen. Dafür schuf es einen „schrankenlosen Standard, der auch sogenannte Non-Profit-Organisationen (NPOs) als Adressaten von Sorgfaltspflichten erfasst, deren Einhaltung von den FATF-Staaten sicherzustellen ist“.

An sich ist das sinnvoll. Es hilft nicht viel, wenn man Unternehmen streng kontrolliert, aber bei NPOs beide Augen zudrückt. Das Problem ist allerdings, dass die FATF den Staaten damit ein „konturloses Instrument“ in die Hand gegeben hat, ohne entscheidende Begriffe wie Terror, Terrororganisation oder Terrorfinanzierung mehr als nur vage zu definieren. Das wäre in Ordnung, wenn das Instrument auf Organisationen beschränkt wäre, die von der UN zu Terrororganisationen erklärt wurden. Doch dies ist es nicht.

In der Praxis nehmen die Staatsführer die Aufforderung der FATF, mehr Kontrolle auszuüben, durchaus ernst – allerdings im eigenen Interesse. Nur ein kleiner Knick der Perspektive, nur eine geringfügige Beuge der Definition von Terror – und schon zielen die Maßnahmen gegen Regierungskritiker. Sie werden nicht zum Instrument gegen Verbrecher und Terroristen – sondern zum Werkzeug der Tyrannei. Sie erdrücken NPO und NGOs, nicht allein solche, de die Regierung kritisieren und für Demokratie werben – sondern auch unpolitische Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt. Diese Organisation klagt, die FATF-Standards machten es schwieriger, in Ländern wie der Türkei zu operieren.

„Die FATF ist sich der Bedenken von Menschenrechtsgruppen über die Behandlung von gemeinnützigen Organisationen durch die Türkei bewusst. Die Türkei muss einen wirklich risikobasierten Ansatz für Non-Profit-Organisationen umsetzen und sicherstellen, dass die Behörden legitime Aktivitäten nicht behindern oder entmutigen“, mahnt FATF-Chef Pleyer.

Besonders drastisch dürfte dabei das neue türkische „Gesetz zur Verhinderung der Verbreitung der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen“ sein. Dieses bedrohe „alle Erdogan-kritischen Organisationen“, da sie nun damit rechnen müssen, als Terrororganisation eingestuft und wirtschaftlich ausgeblutet zu werden. Mit dem Gesetz hat sich der Staatspräsident ein besonders gruseliges Recht gegönnt: Er erhält die Kompetenz, anzuordnen, dass die Gelder und Vermögen von Beschuldigten eingefroren werden, wenn diese als Terrorverdächtige gelten. Dazu reicht ein Verdacht, und sei er nur gegen einen einzelnen Vorstand.

Erdogan prügelt die Menschen zu Bitcoin

Der nicht eben für Humor oder Verständnis für Kritik bekannte Präsident Erdogan kann also nun das Bankkonto von jedem einfrieren, gegen den er einen Terrorverdacht erwirkt hat. Also, bei minimal korruptem Rechtsstaat: von jedem, der ihn stört.

Das Geld, das auf türkischen Bankkonten, in Portfolien und Tresoren liegt – das gehört seinem Besitzer nur pro Forma. Wenn es der Regierung gefällt, hat sie die Rechtsmittel, es jederzeit einzukassieren.

Damit wird Bitcoin für die Einwohner der Türkei aus zwei Gründen extrem wichtig: Einerseits, weil Bitcoin eine der wenigen verbleibenden Optionen ist, um Geld „wirklich“ zu besitzen, anstatt auf Gnade eines zunehmend unter Druck geratenen Präsidenten. Andererseits, um sich vor der rapiden Inflation zu schützen, die in diesem Jahr gegen den Euro etwa 25 Prozent erreicht hat, und die in dem Land für immer mehr Menschen den Absturz in Armut und Hunger nach sich zieht. Philipp Mattheis, Autor des BlingBling Newsletters und ein Türkei-Kenner, beschreibt es so:

„Das traf vor allem die türkische Mittelschicht, die mittlerweile erodiert ist. Urlaubsreisen nach Europa und in die USA waren für viele Türken vor zehn Jahren noch Standard. Heute kann sich das durch den Verfall der Lira kaum mehr jemand leisten … Die Gehälter können mit der Inflation nicht mithalten. Mitdreißiger mit abgeschlossenen Studium und ein paar Jahren Arbeitserfahrungen kommen selten auf ein Gehalt von umgerechnet 800 Euro.“

„Krieg gegen Kryptowährungen“

Für eine lange Zeit waren Bitcoin und Kryptowährungen in der Türkei eher ein Nischenthema. Es gab eine kleine, finanziell gebildete und wohlhabende Schicht, deren Angehörige mit Kryptowährungen der seit langem steigenden Inflation entgingen und Geld verdienten.

Mittlerweile wurde das aber, berichtet Philipp Mattheis, zu einem Massenphänomen. Er erzählt von Yalcin, der bei Binance „mit Shitcoins zockt“, aber auch ein Konto bei einer türkischen Börse hat, um in Bitcoins zu investieren. Er meint, dies machten derzeit alle so. Auch eine Filmemacherin, die Mattheis trifft, bestätigt dies. Während des Lockdowns hätten sich fast alle mit Bitcoin beschäftigt; zum Teil sparen sie in Bitcoin, zum Teil traden sie mit Krypto- und Shitcoins.

Der Regierung ist dieser Trend zunehmend unangenehm. „Wir sind im Krieg gegen Kryptowährungen“ sagte Präsident Erdogan erst am 18. September. Das Bitcoin Magazine betont, dass es sich um einen Krieg „zwischen Erdogans Stamm und Bitcoin“ handeln müsse, da „die Bürger des Landes sich Bitcoin mehr als jemals zuvor zuwenden.“

So haben etwa die beiden größten türkischen Bitcoin-Börsen nach eigenen Angaben mehr als fünf Millionen User – während im Januar erstmals mehr als zwei Millionen Menschen in Aktien investiert haben. Man sollte die Zahlen nicht allzu voll nehmen – doch sie zeigen selbst dann die Dimension des Geschehens, wenn man sie erheblich relativiert.

Die türkische Regierung kann Gold nicht verbieten, weil es bei der Bevölkerung zu beliebt ist. Möglicherweise erhält Bitcoin gerade denselben Status.

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